Leseprobe aus Martin Dietzsch u.a.:
Nation statt Demokratie. Sein und Design der "Jungen Freiheit"
Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die "Junge Freiheit" sich anschickte,
auf wöchentliches Erscheinen umzustellen, kennzeichnete der Philosoph und
Soziologe Jürgen Habermas den Zustand der vorherrschenden
politisch-kulturellen Debatten so: "Der ganze intellektuelle Müll, den wir
uns vom Hals geschafft hatten, wird wieder aufbereitet, und das mit dem
Gestus, für das Neue Deutschland die neuen Antworten parat zu haben."(1)
Im mediopolitischen Diskurs mag sich seit 1993 manches verschoben haben,
im Guten wie im Schlechten; doch damals wie heute gilt, dass die "Junge
Freiheit" eine zwar kleine, doch für Spezialaufträge zuständige effektive
Wiederaufbereitungsanlage für jenen intellektuellen Müll ist. Nach
mehrjährigem Probebetrieb in Freiburg zunächst in Potsdam, dann in Berlin
installiert, liefert die "Junge Freiheit" wöchentlich Recycling-Produkte aus
der sogenannten "Konservativen Revolution" der 20er und 30er Jahre. Aus dem
Angebot dieser heterogenen politischen Strömung, die als Einheit zu
betrachten in der Forschung nicht unumstritten ist (2)
, bevorzugt die "Junge Freiheit" insbesondere die "jungkonservativen"
Spielart und da neben Ernst Jünger vor allem den Staatsrechtler Carl
Schmitt.(3)
Dass es sich hierbei zumeist um ideologisches Material von Wegbereitern
und Weggefährten des Nazismus handelt, muss freilich, um als Zeitungsprojekt
einigermaßen am Leben zu bleiben, und sei es auch am Tropf von Mäzenen, die
die zu geringe Verkaufszahlen finanziell ausgleichen, kaschiert werden. Um
ins Gespräch zu kommen und sich und die "Konservative Revolution" ins
Gespräch zu bringen, bedient sich die "Junge Freiheit" publizistischer
Techniken, die sich mit jenen krimineller Giftmüll-Schieber vergleichen
lassen: falsche Deklaration von Ultragiften, Hoffen auf die Naivität der
Empfänger, Mischung verschiedener hochgiftiger Substanzen mit harmloserem
Material, um vorgeschriebene Grenzwerte zu unterschreiten und teure Kosten
für Endlagerung auf Sondermülldeponien zu sparen usw. Nicht zu vergessen der
erfolgreiche Trick, Chemiemüll grell zu färben und als Hygiene-Würfel für
Toiletten Gewinn bringend zu verkaufen. Wie hier Abfall vermeintlich der
Sauberkeit dienen soll, so lehrt die "Junge Freiheit" Politik und Kultur aus
Vorlagen, die lange Zeit in den Giftschränken der Archive und Bibliotheken
lagerten, als Quellen historischer Forschung, von den Jungmannen nun aber
als Rezeptbücher für Gegenwart und Zukunft gehandelt werden.
[...]
Ins Gespräch kommen
Regelmäßig listet die "Junge Freiheit" auf ihrer Interview-Seite in einer
Spalte eine Vielzahl früherer Interviewpartner auf. Das dient längst nicht
allein dem Zweck, Platz zu füllen. Genannt werden da beispielsweise (in der
Ausgabe vom 28. März 2003) etablierte Politiker und Politikerinnen wie Peter
Gauweiler (CSU, ehemaliger bayerischer Umweltminister, jetzt
Bundestagsabgeordneter), Vera Lengsfeld (Bürgerrechtlerin, ehemalige
Bundestagsabgeordnete der Bündnisgrünen, zur CDU übergetreten), Laurenz
Meyer (Generalsekretär der CDU), Günter Rexrodt (FDP, ehemaliger
Bundeswirtschaftsminister) Jörg Schönbohm (CDU, General a.D., Innenminister
in Brandenburg), Hans Otto Solms (FDP, Bundestagsabgeordneter) oder
Christoph Zöpel (SPD, ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär im
Außenministerium, Bundestagsabgeordneter). Auch schmückt man sich mit den
Namen bekannter Fernseh-Journalisten wie Peter Scholl-Latour, Gerhard
Löwenthal und Franz Alt (4), Schriftstellern wie
Rolf Hochhuth und Ephraim Kishon, Philosophen wie Hans-Georg Gadamer und
Hermann Lübbe oder auch Publizisten wie Joachim Kaiser (Feuilletonchef der
Süddeutschen Zeitung) und Eckhardt Henscheid. Der Rabbiner Isaak Halberstadt
findet sich dort ebenso aufgelistet wie Charlotte Knobloch, die
stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, und
der renommierte israelische Militärhistoriker Martin van Creveld.
Man wird sich beim Lesen der hier genannten Namen vielleicht gelegentlich
verwundert und fassungslos an den Kopf gefasst haben, beispielsweise bei der
Nennung des brandenburgischen Innenministers (und damit
'Verfassungsministers') Schönbohm.(5) Bei Gadamer
werden die allerwenigsten an dessen Mitwirken in der institutionalisierten
Philosophie des deutschen Faschismus denken (6)
und dies dann – fälschlich! – linear bis in die Gegenwart fortschreiben; bei
Kishon wird kaum jemand sich vergegenwärtigen, dass er immer wieder auch als
israelische Alibifigur für die Reputation der rechten Buchfabriken des
Verlegers Herbert Fleissner herhalten muss, sondern die meisten werden an
seine Satiren aus dem Leben in Israel denken.
So fragt man sich wohl, was sie in einem Blatt der extremen Rechten zu
suchen haben. Oder aber – unberechtigte, wie sich noch zeigen wird – Zweifel
bekommen, ob die "Junge Freiheit" vielleicht doch nicht so weit rechts außen
steht wie der Ruf, der ihr seit Jahren vorauseilt. Diese Effekte der
Verwunderung sind, so darf man unterstellen, seitens der Zeitungsmacher
durchaus gewollt. Die so deutlich zur Schau getragene pluralistische Auswahl
der Interviewpartner soll die Zeitung vom Ruch des völkischen Nationalismus
frei machen.(7) Zudem dürfte für einen Teil der
Leser das Blatt dadurch auch inhaltlich attraktiver werden.
Im Dialog mit dem Minister
Mitte November 2002 erschien in der "Jungen Freiheit" ein langes, sich
über zwei Seiten erstreckendes Interview mit dem Innenminister Brandenburgs,
Jörg Schönbohm. "Die Union muß auf konservative Werte setzen", lautete der
Titel, der eine Aussage Schönbohms aufgriff. Dem Untertitel zufolge drehte
sich das Gespräch zwischen Schönbohm und Dieter Stein um "das Tafelsilber'
der Union, die drohende demographische Katastrophe der Deutschen und den
Kampf gegen Rechts".(8) Anders als bei den meisten
Interviews der "Jungen Freiheit", die mit Porträtaufnahmen der Interviewten
illustriert werden, ließ es sich die "Junge Freiheit" nicht entgehen, den
Chefredakteur und den Minister auf einem Foto im Dialog zu zeigen.
Noch bevor Stein, dem man ein besonderes Interesse an diesem Thema
unterstellen darf, Schönbohm auf den Kampf gegen Rechts angesprochen hat,
reduziert der brandenburgische Innenminister diesen bereits auf eine bloße
Strategie des politischen Gegners, namentlich des Bundestagspräsidenten
Wolfgang Thierse (SPD). Man müsse nämlich, so Schönbohm, die Versuche der
SPD, zu Beginn des Wahlkampfes den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien,
Edmund Stoiber, "als Rechtsaußen zu brandmarken", "im Zusammenhang mit dem
zuvor von Herrn Thierse und anderen initiierten 'Aufstand der Anständigen'
sehen." Darin sieht Schönbohm lediglich eine "strategische Falle, in die die
Union hineintappen sollte" (JF 47/2002, S. 4).
Der NPD attestiert Schönbohm, sie sei "eindeutig verfassungsfeindlich".
Er erkennt aber ein anderes Problem: "Tatsache aber ist ebenso, daß die NPD
nur allzu gerne als Resonanzboden für die Rituale des antifaschistischen
Kampfes benutzt wird." Die "Junge Freiheit" exponiert diese Aussage
Schönbohm als Zwischenüberschrift: "Die NPD dient als Resonanzboden für den
Antifa-Kampf" (JF 47/2003, S. 5).
Auch die weiteren Zwischenüberschriften der "Jungen Freiheit" haben es in
sich: "Kampf gegen Rechts - dahinter stecken Thierse & Fischer" und "Die
Unredlichkeit der 'Anständigen' empört mich". Tatsächlich betont Schönbohm,
an Veranstaltungen im Rahmen des Kampfes gegen Rechts "nie teilgenommen" zu
haben, denn: "Was da insgesamt wirkte, war verordneter, moralisch überhöhter
Aktionismus und der wurde schließlich sogar noch parteipolitisch gegen die
CDU instrumentalisiert. Die treibenden Kräfte dabei waren die Herren Thierse
und Fischer." Nach dieser Vorgabe Schönbohms stehen der Chef der "Jungen
Freiheit" und der Innenminister an einer Front. Stein legt vor, indem er die
in der wissenschaftlichen Forschung über die extreme Rechte etablierte These
über die Verantwortung der "Mitte der Gesellschaft" als "linksradikale
These" entlarvt. Schönbohm setzt in seiner Antwort noch eins drauf:
"Mit der heißen Phase des 'Aufstandes Zuständiger und Anständiger gegen
Rechts' stiegen die rechtsextrem motivierten Straftaten parallel sprunghaft
an. Seit dem Abflauen des 'Kampfes gegen Rechts' sind auch diese Straftaten
wieder klar rückläufig. Und jetzt stellt vor allem Herr Thierse diese These
auf: Da der Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft komme, fände er
nun verdeckt, nicht mehr offen statt. Was damit bezweckt werden soll, ist
klar: Nämlich den Diskurs der verschiedenen politischen Lager - der
notwendig zu einer lebendigen Demokratie gehört - zu unterbinden, um das
konservative Lager erneut matt zu setzen. Das alles ist schon erstaunlich."
Erstaunlich ist tatsächlich, wie Schönbohm hier die aus der "Jungen
Freiheit" bekannte Argumentation reproduziert – vielleicht definiert er
allerdings "konservativ" nicht ganz so weit, nämlich so offen für die
Einbeziehung von Teilen der extremen Rechten unter diesen Begriff, wie dies
in der "Jungen Freiheit" gängig ist.
Der Interviewer Stein versucht nach dieser Vorgabe, noch einen weiteren
Punkt zu machen, indem er Schönbohm auf die Berliner Demonstration vom 9.
November 2000 anspricht. Bei dieser Demonstration hatte Paul Spiegel die von
der CDU angestoßene Debatte um "deutsche Leitkultur" kritisiert. Stein legt
Schönbohm nun die Leimrute aus, die Unionsparteien hätten vielleicht
"Schuld" an der soeben von Schönbohm skizzierten Situation, denn sie hätten
"doch an der Großdemonstration 'gegen Rechts' am 9. November 2000 in Berlin
teilgenommen". Schönbohms Antwort:
"Tatsächlich lief die Demonstration offiziell unter einem weniger
verfänglichen Titel. Das bemerkenswerte bei dieser Veranstaltung war
allerdings, daß der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland,
als Redner der Union Vorwürfe machte, die falsch und verletzend waren. Mich
hatte das verwundert, weil ich Herrn Spiegel sehr schätze."
Auf die Vorgabe Steins, ob die Union mittlerweile "kapiert" habe, "daß es
beim 'Kampf gegen Rechts' nicht wirklich um das Problem des
Rechtsextremismus geht, sondern darum, die Union unter Druck zu setzen",
antwortet Schönbohm: "Ich bin sicher, daß das auch die Wohlmeinenden in der
Partei spätestens mit dem 9. November 2000 eingesehen haben. Ein zweites Mal
wird sich eine solche Situation nicht wiederholen", um dann zu propagieren,
"wir sollten [...] endlich lernen, wieder unbefangen stolz auf unser Land
sein zu können".
So bestätigt Innenminister Schönbohm unfreiwillig, was nicht nur der
Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen behauptet: Die Aussage im
Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg für das Jahr 2000
stellte fest, was später auch für das Schönbohm-Interview gilt: "Die
Redaktion der JF ist dabei bemüht, extremistisches Gedankengut als
'national-konservatives' zu verschleiern und bedient sich hierzu immer
wieder der Bereitschaft von Politikern und sonstigen Personen zu
Interviews."
Einige Monate später lässt sich ein weiterer Unionspolitiker im Kampf
gegen den Kampf gegen Rechts vor den Karren der "Jungen Freiheit" spannen.
Ende Februar 2003 erklärt die "Junge Freiheit" auf der Titelseite: "Der
'Kampf gegen Rechts' soll die politische Vorherrschaft von Rotgrün
zementieren". "Das verhetzte Volk" ist der Text überschrieben; als
Illustration dient eine Grafik A. Paul Webers – politisch wiederum ein
deutliches Signal: als Grafiker war Weber im Umfeld Ernst Niekischs im
"Widerstand" tätig, wohlgemerkt im "Widerstand" gegen die Weimarer Republik,
und tat sich auch durch antisemitische Karikaturen hervor.(9)
Auf der Interview-Seite finden sich zwei Interviews, eines mit dem Bonner
Professor Manfred Funke und ein kürzeres mit Wolfgang Götzer,
Bundestagsabgeordneter der CSU. Götzer nimmt ausdrücklich Bezug auf
Schönbohms Interview mit der "Jungen Freiheit" und behauptet, es gehe "beim
sogenannten 'Aufstand der Anständigen' von Anfang an in erster Linie darum,
das bürgerliche Lager, speziell die Union unter Druck zu setzen und in die
'rechte Ecke' zu stellen" (JF 10/2003, S. 3). Für Antifaschismus hat Götzer
nichts übrig: "'Antifaschismus' ist ein Kampfbegriff des Linksextremismus,
der dazu dient, von der eigenen totalitären Ideologie abzulenken und eine
breite Front zu schmieden, um das bürgerliche Lager zu vereinnahmen und
letztlich matt zu setzen." Götzer bedauert ausdrücklich, dass der Kampf
gegen Rechts nicht "am Ende" sei. Doch die Fragestunde im Deutschen
Bundestag, bei der die Förderung von Initiativen im Kampf gegen Rechts zum
Thema gemacht wurde, sei "ein Anfang", um ihm ein Ende zu setzen.
Die "Junge Freiheit" versucht, in derselben Nummer und in der folgenden
Ausgabe dazu ihren Beitrag zu leisten, indem sie sich mit diffamierender
Absicht exemplarisch über den Magdeburger Verein "Miteinander e.V."
hermacht. Bei Manuel Ochsenreiters 'Enthüllung' handelt es sich allerdings
ganz offensichtlich um eine Pseudorecherche mit kurzem Atem und langen
Zähnen. Unter dem Gesichtspunkt journalistischer Seriosität betrachtet, sind
die betreffenden Artikel als Reinfall anzusehen, zogen sie doch neben einer
"Richtigstellung" zwei Gegendarstellungen nach sich.(10)
Im Gespräch bleiben – Signale an die Kameraden
Seit die "Junge Freiheit" sich auf dem schwierigen Markt der
Wochenzeitungen zu behaupten sucht, unterliegt sie einem doppelten Zwang.
Ihr Bemühen um ein reputierliches Image lässt sie Gefahr laufen, Leserschaft
auf der Rechten einzubüßen. Bei den Kameraden wird ihr Name gelegentlich zu
"Junge Feigheit" verballhornt. Also muss sie, um Leserschaft in der
Stammklientel zu halten, versuchen, neben den Zugängen ins gesellschaftliche
und politische Establishment auch weiter Signale an die Kameraden auf der
extremen Rechten auszusenden. Dies wird schwerer, wenn der gesellschaftliche
Druck auf die extreme Rechte zunimmt.
Als im Sommer 2000 in der breiten Öffentlichkeit und dann auch seitens
der Bundesregierung endlich die Gefährdung der Demokratie durch die extreme
Rechte erkannt wurde, witterte die "Junge Freiheit" die Gefahr. Das Thema
wurde Chefsache und der Chef, Dieter Stein, war sichtlich nervös. In seinem
Kommentar "Nationale und Gewalt" (JF 31-32/2000, S. 2) vergoss er
Krokodilstränen über einen Anschlug auf die Flüchtlingsunterkunft in
Ludwigshafen. Wenige Seiten weiter allerdings präsentierte er eine als
Interview ausgegebene Selbstdarstellung eines besonders versierten Experten
für den Neonazismus: Sascha Wagner, einst Hooligan bei Alemannia Aachen, nun
Vorsitzender des Landesverbandes Rheinland-Pfalz der Jungen
Nationaldemokraten (JN). Im Gespräch mit Stein empfiehlt die Mitglieder der
Jugendorganisation der NPD als "die besten Sozialarbeiter" und entlarvt
"Spitzel des Verfassungsschutzes und die Medien" als "Heißmacher" (JF
31-32/2000, S. 4). Welch passendes Wort im Zusammenhang mit einem
Brandanschlag!
Abschied vom Weggefährten Horst Mahler
Knapp einen Monat später steigert sich Stein, indem er sich zweier auf
die äußerste Rechte abgewanderter Alt-68er annimmt: Horst Mahler, einst
Anwalt des SDS, dann Mitbegründer der RAF, seit Dezember 1997 als strammer
Rechter bekannt (11) und im Sommer 2000 in die
NPD eingetreten, und Günter Maschke. Auf einer Spalte beklagt Stein Mahlers
"Weg in die Einsamkeit" (JF 35/2000, S. 3) – eine merkwürdige Interpretation
eines Beitritts zu einer Partei. Unzweideutige öffentlich wahrnehmbare Nähe
zur NPD war dem Zeitungsmacher Stein immer ein Dorn im Auge. Denn sie würde
seine so angestrengten wie unglaubwürdigen Bemühungen, seinem Blatt ein
honoriges Image zu verpassen, restlos zum Scheitern verurteilen. So machte
er Mahler plötzlich zum Prügelknaben.
Stein sieht Mahler "in einer tragischen Sackgasse zum Stillstand
gekommen": "Autistisch Hegel und Marx zitierend, schlafwandelt er in seinen
Schriften und Reden, wie auch im persönlichen Gespräch". Ganz sentimental
auf 'das Menschliche' gerichtet, möchte Stein "den Menschen [Mahler] hinter
der Mauer entdecken, doch sein Blick ist in die Ferne gerichtet und er
selbst weit fort". Dass Mahler "weit fort" sei von Steins Postille, davon
konnte der Chefredakteur allerings nur träumen. Alles, was Stein im
folgenden über Mahler schreibt, galt schon einige Zeit für dessen Texte,
bevor Mahler als Autor bei der "Jungen Freiheit" hofiert wurde und Stein
sich stolz gemeinsam mit Mahler bei der Frankfurter Buchmesse 1998
präsentierte. Und es galt auch für die Texte Mahlers, die in der "Jungen
Freiheit" erschienen; nicht zufällig wurde einer der Beiträge Mahlers zur
Debatte um Martin Walsers Friedenspreis-Rede sowohl in der "Jungen Freiheit"
als auch im Zentralorgan der NPD, der "Deutschen Stimme", abgedruckt.(12)
Im Sommer 2000 aber gab sich Stein plötzlich erschüttert: Mahlers
Presse-Erklärung zum NPD-Beitritt sei "eine rätselhafte, weitschweifige
Begründung für Antisemitismus und die Bedrohung durch die Juden. Mahler
spricht von einer 'geheimen Regierung' Deutschlands und entfaltet eine
Verschwörungstheorie, die kaum eines der gängigen Klischees ausläßt".(13)
Günter Maschke
Stein fand zeitgleich allerdings einen gleichwertigen Ersatzmann für
Kamerad Mahler, der nur bei höchst oberflächlicher Betrachtung als
unverdächtig erscheinen könnte: Günter Maschke, den Stein in derselben
Ausgabe der "Jungen Freiheit" interviewt. Maschke (14)
hatte zuvor gemeinsam mit dem Hamburger SDSler Reinhold Oberlercher und
Horst Mahler eine atemberaubend geschichtsklitternde nationalrevolutionäre
Reinterpretation von '68 vorgelegt. In Artikel 5 jenes kruden Papiers zur
Umdeutung der 68er Revolte in einen antiamerikanischen und
befreiungsnationalistischen "deutschen Aufstand gegen eine Besatzungsmacht",
das die "Junge Freiheit" als "Dokumentation" abdruckte, hieß es:
"Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) spielte eine der
Jenenser Urburschenschaft vergleichbare Rolle als nationalrevolutionärer
Initiator. Der zu Beginn der 70er Jahre sich bildende Waffen-SDS
(Rote-Armee-Fraktion) setzte die Tradition eines Karl Sand, eines Major von
Schill und eines ernsthaften Waffenstudentums fort. In der tragischen
Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer traf der
Waffen-SDS einen SS-Mann, der die Position der nationalrevolutionären
Volksgemeinschaft zugunsten derjenigen des Anführers eines
Klassenkampfverbandes verraten hatte."(15)
Im Interview liefert Maschke Dieter Stein Fundamentalkritik am "System",
das völlig illegitim sei und in dem die "geistige Freiheit [...] gegen Null
gehe". Auf Steins Frage, ob er meine, "die äußerste Rechte, die den Kampf
explizit auf die Straße tragen möchte, vertrete tatsächlich eine legitime
Gegenposition zum 'System'", meint Maschke:
"Dieses Land kämpft darum, seine eigenen Interessen nicht mehr
formulieren zu dürfen. Der Widerstand dagegen könnte sich ausweiten und
intelligenter werden, wobei ich allerdings mit Blick auf das verfügbare
Personal skeptisch bin. Deshalb müssen schon die Ansätze rasiert werden.
[...] Und ich werde mich deshalb auch nicht abgrenzen. Nicht weil es keine
Unterschiede gebe, sondern weil die falschen Leute dazu auffordern und man
das außerdem nicht vor den Ohren des gemeinsamen Feindes tut (JF 35/2000, S.
7).
Jener Günter Maschke, der sich von den Stiefel tragenden Neonazis nicht
abgrenzen will und zugibt, man habe einen "gemeinsamen Feind", ist bis heute
ein gern gesehener Autor in der "Jungen Freiheit".(16)
Da Maschke kaum Rücksichten nimmt und in seiner Unabhängigkeit als
Privatgelehrter auch nicht nehmen muss, sondern Klartext schreibt, kommen
Anhänger der härteren Linie bei seinen JF-Texten auf ihre Kosten. So leugnet
er anders als manche Apologeten Carl Schmitts dessen Antisemitismus nicht.
Er minimiert in seiner Besprechung einer einschlägigen Studie wohl dessen
Stellenwert: "was Schmitt von den Juden dachte", behauptet Maschke, "ist für
ein Verständnis seiner Schriften nicht einmal von tertiärer Bedeutung." Dann
aber bedient Maschke in seinem Verriss des als "Amoklauf" gescholtenen
Buches ein tradiertes Motiv, die Botschaft über 'die Juden und das Geld',
freilich in einer Variante nach Auschwitz: Juden profitierten ihm zufolge in
Deutschland von der Erinnerung an den Holocaust. Der Autor der Studie, so
Maschke "wurde auch über Jahre hinweg von mehreren Stiftungen gefördert. In
den deutschsprachigen Ländern fließen für jüdische Stipendiaten keineswegs
Milch und Honig – sie stürzen vielmehr kataraktartig auf die Antragsteller
herab." Entsprechend überschreibt die "Junge Freiheit den Artikel mit "Der
subventionierte Amoklauf".(17)
In einer Rezension einer Studie über die Rolle Carl Schmitts als Anwalt
des Reiches beim sogenannten "Preußenschlag" vom 20. Juli 1932 (18),
bei dem die sozialdemokratische Regierung Preußens durch einen
Reichskommissar ersetzt und damit das "Bollwerk der Republik" (Martin
Broszat) geschleift wurde, von Maschke als zwar nicht juristisch
sistierbarer, aber doch politischer Staatsstreich" charakterisiert, zeigt
Maschke, dass sein sein Herz für die Diktatur schlägt: "Nicht die Ausweitung
des Artikels 48", also des dem Reichspräsidenten diktatorische
Ausnahmevollmachten zugestehenden Artikels in der Weimarer Verfassung, "war
eines oder gar das Hauptübel der sterbenden Republik, sondern dessen ihm
trotz all seiner Verschärfungen bis zuletzt anhaftende Schwäche. Und Hitler
war auch nicht das Ergebnis einer diktatorial deformierten Politik, sondern
eines zuwenig an Diktatur und Ausnahmezustand" (JF 39/2002, S. 16).
Frank Schwerdt
Kurz nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens im März 2003
interviewte Manuel Ochsenreiter den Bundesgeschäftsführer der NPD, Frank
Schwerdt. "Die NPD ist eine staatstragende Partei", lässt die "Junge
Freiheit" Schwerdt im Titel verkünden. Die "Junge Freiheit" stützt diese auf
Solidität setzende Selbstaussage, indem sie den politischen Werdegang des
Interviewten nur sehr verkürzt vorstellt: Ochsenreiter spricht Schwerdt auf
seine Mitgliedschaft in der CDU in den achtziger Jahren an und fragt dann,
ob Schwerdts späterer Übertritt von den REPs zur NPD "Folge eines
Gesinnungswandels" gewesen sei. So umschifft der Interviewer
Zwischenstationen im Werdegang Schwerdts, die nicht zu seiner gediegenen
Selbstdarstellung passen: Schwerdt war in der ersten Hälfte der neunziger
Jahre Mitglied der Deutschen Liga für Volk und Heimat und Mitte der 90er
Jahre Bundesvorsitzender der Kleinstpartei Die Nationalen.
"Unter dem Vorsitzenden Adolf von Thadden galt die NPD in den sechziger
Jahren noch als überwiegend nationalkonservative und auch staatstragende
Kraft. Spätestens seit der Wiedervereinigung bedient sie sich verstärkt
einer radikalen und dezidiert sozialistischen Rhetorik. Sehen Sie in dieser
Entwicklung Widersprüche?
Schwerdt: Nein, überhaupt nicht. Staatstragend ist die NPD auch heute noch,
aber wir kämpfen gegen das politische System, welches sich in diesem Staat
breitgemacht hat. Das politische System ist schließlich nicht der Staat.
Diejenigen, die den Staat führen, repräsentieren nicht diesen Staat. Sie
befinden sich leider nur zufällig an der Spitze."(19)
Wenn Schwerdt hier vom "politischen System" spricht, ist das nicht der
politikwissenschaftliche Sprachgebrauch, der den Staat als Teil des
politischen Systems betrachtet. Schwerdts Entgegensetzung von – negativ
konnotierten - "politischem System" und "Staat" knüpft an an die
demokratiefeindliche Polemik der Rechten gegen das "System"
("Systemparteien" usw.) der Weimarer Republik an.
Sprachlich ganz auf der Linie Schwerdts zeigt sich Ochsenreiter, wenn er
diesen auf den "Zulauf von jungen Leuten in Mitteldeutschland" anspricht,
den die NPD "durch radikale und sozialistische Rhetorik" erziele. Schwerdts
Antwort: "Ich denke, daß diese den Zulauf in Mitteldeutschland bringen. Aber
gerade bei bisher politisch nicht gebundenen jüngeren Leuten bringen sie den
auch in Westdeutschland" (JF 13/2003, S. 6; Hrvh. d. Vf.). Sowohl für den
JF-Redakteur Ochsenreiter wie für den NPD-Funktionär Schwerdt teilt sich das
Territorium der Bundesrepublik Deutschland in West- und Mitteldeutschland –
da bleibt jenseits der Grenze noch ein "Ostdeutschland" zu holen.(20)
Auch akzeptiert der JF-Redakteur distanzlos das Selbstverständnis (von
Teilen) der NPD, sie vertrete "sozialistische" Ziele.
Der "politische Flügel" der Hamas
Auch im Zuge der Nahost-Debatte nach Beginn der zweiten Intifada
platzierte die Junge Freiheit Duftmarken für die militanten Kameraden. Weite
Teile der extremen Rechten beziehen sich positiv auf den religiös verbrämten
Aufstand mit zunehmendem Terror. Dies hat einen langen Vorlauf, der in
einigen Milieus der extremen Rechten, so im Umfeld Michael Kühnens, noch
weit hinter die erste Intifada Ende der 80er Jahre zurückgeht.(21)
Der ersten Intifada wurde von der extremen Rechten bei der Propagierung des
Konzeptes "national befreiter Zonen" ein Vorbildcharakter zugesprochen. Der
Nationaldemokratische Hochschulbund brachte just in der Nummer seiner
Zeitschrift "Vorderste Front", in der das Konzept erklärt wurde, einen
vermummten Intifada-Kämpfer auf das Titelblatt – als eine weitere Ikone des
bewaffneten Kampfes diente der rumänische Faschist Corneliu Zelea Codreanu.
"Intifada weltweit!", lautete der Slogan, der dann nach Beginn der zweiten
Intifada mit weit größerer Intensität wieder aufgenommen wurde. Eine
zusätzliche Attraktivität bekam die arabische bzw. muslimische Welt für die
Nazi-Szene durch die große Resonanz, die Holocaust-Leugnung dort findet.(22)
Die "Junge Freiheit" hielt sich in der Debatte um den Nahost-Konflikt
seit Beginn der zweiten Intifada lange Zeit eher zurück. Mitte August 2001
aber ging man in die Vollen. Michael Wiesberg, Vielschreiber auch für die
REPs, dozierte auf der Titelseite über die "Logik des Terrors". Die
einseitige Schuldzuweisung an Israel und namentlich Premierminister Ariel
Scharon wird bei Wiesberg nicht so plump und drastisch vorgetragen wie
beispielsweise in der "National Zeitung". Scharon habe "sich auf einen Pfad
begeben, der die Zukunft Israels eher gefährdet als sichert. Ob und wie
dieser Pfad verlassen werden kann, ist derzeit nicht ersichtlich" (JF
34/2001, S. 1).
Dieser vermeintlichen Sorge der "Jungen Freiheit" um Israel geht Moritz
Schwarz in derselben Ausgabe auf der Interview-Seite nach. Er befragt Dr.
Abdel Aziz Rantisi. Rantisi ist Mitbegründer der islamistischen Organisation
Hamas und wird von der "Jungen Freiheit" als "Sprecher des politischen
Flügels der Hamas im Gaza-Streifen" präsentiert (JF 34/2001, S. 3). Das
bedeutet aber längst nicht, dass die terroristischen Aktivitäten der Hamas,
die für zahllose Selbstmordanschläge mit etlichen Toten und Verletzten
verantwortlich ist, nun im Gespräch zu kurz kämen. Der Interviewer fragt
höflich einige Positionen ab, manchmal widerspricht er dem Interviewten
sogar vorsichtig. Dieser hat es leicht, seine Position durchzubringen und um
Verständnis für die Hamas werben zu können. Rantisi malt ein Feindbild
'Israel' bzw. 'Israelis', wie es extremer kaum vorstellbar ist. Die
"Mentalität der Israelis ist der Terror", heißt es da. Vorsichtig auf die
Terrorakte der Hamas angesprochen, antwortet Rantisi ausweichend:
"Die Strategie der Hamas ist, unser Volk vor dem Terror der Israelis zu
schützen. Besetzung eines Landes nenne ich Terror, die Ermordung von
zweihundert unserer Kinder nenne ich Terror, die Tötung weiterer Hunderter
unserer Zivilisten nenne ich Terror. [...] Wir haben keine andere Wahl, als
die Israelis mit allen Mitteln zu stoppen" (JF 34/2001, S. 3).
Die Formel "mit allen Mitteln" schließt Selbstmordanschläge in Cafés oder
an anderen belebten öffentlichen Orten in Israel ein. Diese mörderischen
Akte werden als Teil einer "Strategie [...], unser Volk vor dem Terror der
Israelis zu schützen" beschönigt und legitimiert – zur großen Freude des
Teils der Leserschaft, der darauf hofft, dass die Palästinenser an den Juden
vollenden, was die Deutschen begannen, dürfen wir wohl vermuten.
Die "Junge Freiheit" spricht wohlgemerkt mit einen Vertreter des
"politischen Flügels" der Hamas; das Interview lässt aber keinen Zweifel an
der Arbeitsteilung mit dem terroristischen Flügel. So erklärt Rantisi:
"Beide gehören gleichermaßen zur selben Organisation, aber jeder Flügel
arbeitet für sich alleine" (JF 34/2001, S. 3). Als könnte an seiner Position
noch ein Zweifel bestehen, befragt die "Junge Freiheit" Rantisi, ob er die
Attentate "des militärischen Flügels gegen die Israelis" (ebd.; Hrvh. v. AS)
befürworte (womit sie den terroristischen Flügel zum "militärischen" adelt,
als handle es sich um eine reguläre Armee). Rantisi formuliert darauf eine
weise und vielversprechende Antwort: "Wir haben weder
'Apache'-Kampfhubschrauber noch F-16-Jagdbomber. Wenn wir solche Waffen auch
einmal haben, werden wir nichts anderes mehr benutzen" (ebd.).
Mit diesem Interview wagte sich die "Junge Freiheit" weit vor; im
weiteren Verlauf der Berichterstattung über die zweite Intifada wurde das
Gespräch mit Rantisi durch andere, auch gegenläufige Beiträge abgefedert.
Das Gespräch suchen - "Querverbindende Denkweise"
Nach dem 11. September 2001 intensivierte die "Junge Freiheit" ihr
Bemühen, das Spektrum ihrer Interview-Partner zu erweitern.(23)
Insbesondere suchte man nach 'linken' Positionen, und zwar häufig im
Ausland. Das hatte wohl den Vorteil, dass manche Interview-Partner nicht
ahnten, wem sie da ein Interview gewährten. So interviewte man, um den
spektakulärsten Coup zu nennen, nach ihrem Aufsehen erregenden Essay in der
"FAZ" die indische Schriftstellerin Arundhati Roy (JF 42/2001, S. 3-4).
Mit dieser systematischen Öffnung gegenüber – vage gesprochen – 'linken'
Positionen praktiziert die "Junge Freiheit" genau das, was Alain de Benoist
unter dem Schlagworten "Metapolitik" und "querverbindende Denkweise"
propagiert und in seinen Texten als Diskursmix praktiziert, nämlich mittels
solcher Brückenschläge politische Fronten zu verwischen.
Kritik an den USA (und darüber hinaus bzw. häufig damit identisch gesetzt
Kritik an der Globalisierung) ist für diese Vorgehensweise ein besonders
geeignetes Feld. Denn ideologiegeschichtlich ist dies leicht anschließbar an
den kulturkritischen Diskurs (deutsche Tiefe versus Oberflächlichkeit aus
Hollywood usw.). Zudem knüpft man hier an die Invektiven Carl Schmitts gegen
die imperiale Deutung der Monroe-Doktrin und die USA als "raumfremde Macht"
sowie die anti-universalistischen Polemik, wie sie Schmitt in seinen Texten
über "Großraum" und "Reich" vorgelegt hat, an.(24)
Gilt dies für intellektuell anspruchsvolle Publikation, so lässt sich an
anderer Stelle emotional gegen die USA mobilisieren, indem man auf den
"angloamerikanischer Bombenterror" gegen Deutschland verweist. Symptomatisch
dafür steht in den JF-Interviews der "Dresden"-Einschub des Interviewers
(bzw. der Redaktion) im Interview mit Arundhati Roy (JF 42/2001, S. 3).
Ein weiteres neuralgisches Thema sind Geheimdienste, hier insbesondere
CIA und Mossad; hierzu hat Andreas von Bülow nach seinem Interview in der
Zeitschrift "Konkret" auch der "Jungen Freiheit" per Interview einiges
geliefert. So spekulierte der sozialdemokratische Ex-Minister, der nun als
Publizist tätig ist und als Geheimdienstexperte gilt, über die Beteiligung
des israelischen Geheimdienstes Mossad an den Anschlägen vom 11.9.2001. Auch
lieferte er der "Jungen Freiheit" eine dort höchst willkommene
Interpretation der extremen Rechten in Deutschland; diese sei nämlich
weitgehend ein Produkt von – insbesondere ausländischen – Geheimdiensten.(25)
Dass dieses Interview mit seiner Stoßrichtung auch in der frankophonen Neuen
Rechten auf Interesse stößt, zeigt sich daran, dass es unter dem Titel Sur
la géostratégie américaine et l'impuissance européenne" ("Über die
amerikanische Geostrategie und die europäische Ohnmacht" auch auf der
Homepage von "Terre et Peuple" erschien, einer aus dem GRECE
hervorgegangenen Gruppe und Zeitschrift um Pierre Vial, die auf
Zusammenarbeit mit Le Pens Front National setzt. Übermittelt wurde das
Interview vom JF-Autor und Kopf der Europäischen Synergien, Robert
Steuckers.
Mit der Zuspitzung der diplomatischen und militärischen
Kriegsvorbereitungen der USA (und Großbritanniens) und des diplomatischen
Gegensteuerns der Bundesrepublik Deutschlands und Frankreichs (sowie
Russlands und Chinas) gewinnt die Interview-Politik der "Jungen Freiheit"
weitere Dynamik. Auch vermag die "Junge Freiheit" die Erfolge früherer
Interviews einstreichen.
Die auf eine Achse Deutschland-Frankreich (und Russland) setzende Linie
de Benoists wird direkt gestützt durch das Interview mit Henri de Grossouvre
(JF 8/2003, S. 3), der als "jüngster Sohn des Mitterand-Vertrauten François
de Grossouvre" und als "Geopolitiker" präsentiert wird.
Einen symbolischen Erfolg im politischen Brückenschlag kann die "Junge
Freiheit" mit dem Interview mit dem vormaligen französischen sozialistischen
Kultur- und späteren Bildungsministers Jack Lang verbuchen. Lang vertrat als
Minister kulturpolitisch einen weltweit Aufsehen erregenden Kurs gegen die
US-amerikanische Kulturindustrie. Im Interview mit der "Jungen Freiheit"
lässt er sich Zustimmung zum Achsentraum (Paris-Berlin, hier ohne Moskau)
"des Geopolitikers Henri de Grossouvres" entlocken, bevorzugt aber gegenüber
der ihm vom Interviewer nahegelegten Forderung Peter Scholl-Latours nach
einer "strategischen Militärmacht der Europäer", dass "Europa durch
gemeinsame Anstrengungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und
Forschung" zusammengeführt werde.(26)
Flankiert wird diese Europa gegen die USA in Stellung bringende
politische Position durch ein weiteres Interview mit einem 'linken'
(jedenfalls nicht-rechten) Autor: Chalmers Johnson (27)
(JF 4/2003, S. 4-5), dessen These vom Blowback ("Rückstoß") recht bald nach
den Anschlägen vom 11. September 2001 von Michael Wiesberg in den Diskurs
der "Jungen Freiheit" eingebracht worden ist (vgl. JF 39/2001, S. 10).
Johnson legte im Interview zum Thema Geheimdienste nach. Er wagte die
Prognose, die USA "würden alles in ihrer Macht stehende tun, um Deutschland
zu unterwandern" (JF 4/2003, S. 5), wenn sich Deutschland auf Gegenkurs zu
den USA begebe; hier wird eine Parallele zu Einmischungen der USA in Italien
(Stichwort "Gladio") beschworen.
Ein besonderer Stellenwert wird muss dem Interview mit Pat Buchanan,
dessen Buch The Death of the West gleichzeitig ausführlich in zwei Artikeln
dargestellt wurde (28), beigemessen werden Sowohl
Immanuel Wallerstein (29) (JF 37/02, S. 3) als
auch Chalmers Johnson werden zu Buchanan befragt. Buchanans Attraktion
besteht nicht nur darin, dass er ein ausgemachter stramm Konservativer ist
und als US-amerikanischer Isolationist sozusagen Bündnispartner jenseits des
Atlantik. Auch viele seiner Thesen über den "Tod des Westens" lassen sich
leicht auf deutsche Verhältnisse übertragen, wie beispielsweise sein Gezeter
gegen "kulturellen Marxismus", das sich mit der in der "Jungen Freiheit"
gängigen Verpönung der Kulturrevolution von 68 deckt, oder sein religiös
unterfütterter Kampf an der bevölkerungspolitischen Front. Schön, dass
Chalmers Johnson der "Jungen Freiheit" in diesem einen Punkt nicht auf den
Leim ging:
"Ich bedauere, Ihnen das sagen zu müssen, aber ich halte Pat Buchanan für
einen typisch amerikanisch-irischen Rassisten. Und ich bin extrem
mißtrauisch gegenüber seiner Einstellung gegenüber Einwanderern ebenso wie
gegenüber seinem – wie ich es nennen möchte – christlichen
Fundamentalismus."
Zwar begrüße er Buchanans Engagement gegen den US-Imperialismus, aber er
interpretiere "die grundsätzliche Haltung, die er uns seine Anhänger
einnehmen genau für die Haltung, die den amerikanischen Imperialismus
verursacht" habe (JF 4/2003, S. 5).
Das ließ die "Junge Freiheit" aber nicht auf ihrem Hoffnungsträger
jenseits des Atlantiks sitzen. Sie publizierte Ende März 2003 als Nachdruck
aus Buchanans Magazin The American Conservative einen langen Artikel
Buchanans, in dem dieser den vermeintlichen Ursachen des US-Angriffs auf den
Irak auf den Grund ging. Anstifter des Krieges sei, so Buchanan, eine
verschworene Gruppe jüdischer Publizisten ("die Neokonservativen") innerhalb
der Bush-Administration, die nicht US-amerikanische, sondern israelische
Politik betrieben.(30)
Ergänzt wird der erstaunliche und erstaunen lassen sollende Pluralismus
der Interview-Partner durch 'Feind'-Interviews. Ruppig befragt werden
Propagandisten der US-Linie wie der Verlagsdirektor von "Foreign Affairs",
Gideon Rose (JF 9/2003, S. 3), und Steve Dunleavy, seit 1966 dem Medienmogul
Rupert Murdoch verbunden und als Kolumnist der "New York Post" eifriger
Streiter gegen französische 'Undankbarkeit'. Insbesondere das Interview mit
Dunleavy (JF 9/2003, S. 3) ist geeignet, das in weiten Teilen der
Leserschaft vorhandene antiamerikanische Ressentiment abzurufen; die "Junge
Freiheit" druckte dann auch einen entsprechenden Leserbrief zum Interview
ab.
Auszug aus dem Kapitel "Im Gespräch sein – mit Carl Schmitt und Alain
de Benoist -- oder "Wie die 'Junge Freiheit' völkischen Nationalismus
dosiert" in: Martin Dietzsch u.a.:
Nation statt Demokratie. Sein und Design der "Jungen Freiheit",
Edition DISS Bd. 4, Unrast Verlag 2004
Euro 16,00 - [Bestellen?]
Anmerkungen:
(1) Jürgen Habermas: Das deutsche Sonderbewußtsein
regeneriert sich von Stunde zu Stunde [zuerst 1993]. In: ders.:Die
Normalität einer Berliner Republik. Kleine Politische Schriften VIII.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 74-87, hier S. 86.
(2) Das Begriffskonstrukt geht zurück auf Armin Mohlers
Baseler Dissertation von 1949, die mehrfach überarbeitet und zu einer
gigantischen Bibliographie ausgebaut eine Art Katalog der "Konservativen
Revolution" bietet; vgl. Armin Mohler: Die Konservative Revolution in
Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. Darmstadt: WBG 3., erw. Auflage 1989;
vgl. zur Kritik am "Mythos" der "Konservativen Revolution" Stefan Breuer:
Anatomie der Konservativen Revolution. Darmstadt: WBG 1993.
(3) Vgl. zu Schmitt und weiteren "Vordenkern" Kurt
Lenk/Günter Meuter/Henrique Otten: Vordenker der Neuen Rechten. Frankfurt
a.M./New York: Campus 1997.
(4) Franz Alt hat es mittlerweile auch zum Autor in der
"National Zeitung" des DVU-Anführers Gerhard Frey gebracht; vgl. NaZe
8/2003, S. 5.
(5) Ein Interviewpartner und gelegentlicher Autor der JF
war auch der sächsische Justizminister und (zeitweilig auch) Innenminister
Steffen Heitmann.
(6) Vgl. Teresa Orozco: Platonische Gewalt. Gadamers
politische Hermeneutik der NS-Zeit. Hamburg/Berlin: Argument 1995.
(7) Vgl. die ähnliche Einschätzung in
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2001,
S. 127; wiederholt im Anfang April 2003 vorgestellten und bei
Redaktionsschluss noch nicht gedruckt vorliegenden Bericht über das Jahr
2002).
(8) Die folgende Darstellung beschränkt sich auf das
Zusammenspiel der Gesprächspartner gegen den Kampf gegen Rechts.
(9) Vgl. Thomas Dörr: "Mühsam und so weiter, was waren das
für Namen..." Zeitgeist und Zynismus im nationalistisch-antisemitischen Werk
des Graphikers A. Paul Weber (= Schriftenreihe der
Erich-Mühsam-Gesellschaft, Heft 18). Lübeck 2000; zum historischen Kontext
Michael Pittwald: Ernst Niekisch. Völkischer Sozialismus, nationale
Revolution, deutsches Endimperium. Köln: PapyRossa 2002 u. Louis Dupeux:
"Nationalbolschewismus" in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie
und konservative Dynamik. München: Beck 1985.
(10) Vgl. JF 10/2003, S. 6, 12/2003, S. 6 und die
"Richtigstellung" 13/2003, S. 6 u. 16/2003, S. 6.
(11) Vgl. Alfred Schobert: Mahlers Nolte mortale. Horst
Mahler ehrt Günter Rohrmoser als "Mentor der Linken" und betet für
Deutschland. In: Jungle World 51-1/1997-98, S. 32.
(12) Dokumentiert in Martin Dietzsch u.a. (Hg.): Endlich
ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin
Walsers. Eine Dokumentation. Duisburg: DISS 1999, S. 75.
(13) JF 35/2000, S. 3; Bernd Rabehl widmete Mahler nach
dessen Auftritt als Anwalt der NPD im Parteiverbotsverfahren und nach dem
Austritt aus der NPD, die – so Mahlers Erklärung – der Demokratie verhaftet
und daher zum Untergang verdammt sei, in der JF ein sehr unkritisches
Porträt. Mahler spreche "richtige Probleme" an. "Seine Bedeutung liegt
darin, daß er das große Schweigen unterläuft." Kritisch merkt Rabehl
lediglich an, Mahler sei "Gefangener seiner Ideologie" und geriere sich als
"Missionar, der an die eigenen Visionen vorbehaltlos glaubt" (JF 16/2003, S.
14) – welch freundliche Worte für die antisemitischen Delirien, die aus
Mahler heraussprudeln.
(14) Vgl. als Selbstauskunft Günter Maschke: "Ich war
eigentlich von Jugend an immer 'dagegen'" [Gespräch]. In: Claus M.
Wolfschlag (Hg.): Bye-bye '68... Renegaten der Linken, APO-Abweichler und
allerlei Querdenker berichten. Graz/Stuttgart: Stocker 1998, S. 29-48 u. das
Porträt von Willi Winkler: Die Versuchung, Amok zu laufen. Ein deutsches
Milieu: Wie lebt ein rechter Kommunist heute? Extremist war Günter Maschke
sein Leben lang – Asylant in Cuba, Held der APO, nun gibt er das Werk eines
NS-Juristen heraus und bewundert Castro. In: Süddeutsche Zeitung 18.9.1998,
S. 3. Die FAZ kennzeichnete ihren vormaligen Autor Maschke kürzlich sehr
zurückhaltend als "Reaktionär", um ihn dann als "Schriftsteller von Graden"
zu loben: "Denkt man sich den Begriff des Essays ohne
Locker-Unverbindliches, dafür aber mit einem höheren spezifischen Gewicht
des Gedankens, dann bekommt man eine Idee von seiner Arbeit" (Lorenz Jäger:
Gelehrter ohne Amt. Kriegstheorie: Zum sechzigsten Geburtstag von Günter
Maschke. In: FAZ 15.1.2003, S. 35). Fragt sich, wie Lorenz Jäger das höhere
spezifische Gewicht der in Maschkes Essays in einiger Regelmäßigkeit
auftauchenden antisemitischen Invektiven misst.
(15) Horst Mahler/Günter Maschke,/Reinhold Oberlercher:
Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968. In: Staatsbriefe 1/1999, S.
16-17 (auch in JF 10/1999, S. 7). In Artikel 7 wird behauptet, in der 68er
Bewegung seien "zwei nationalrevolutionäre Flügel" entstanden, einer
antiamerikanisch, einer antisowjetisch; beim Berliner Vietnamkongress vom
Februar 1968 sei die Idee einer "Internationale der Nationalrevolutionäre"
entwickelt worden; die beiden Flügel stünden nach Ende der UdSSR vor der
"Wiedervereinigung" und dem gemeinsamen Kampf gegen die USA.
(16) Vgl. außer den im folgenden noch erwähnten Artikeln
Maschkes weiter 8/2002, S. 15; 17/2002, S. 16-17 u. 15/2003, S. 17. Vgl.
auch Maschkes Interview im NPD-Zentralorgan "Deutsche Stimme (2/2001, S. 3).
(17) JF 43/2000, S. 16. Maschke bestätigt hier nur
drastisch, was der Gescholtene an seinem Beispiel aufgezeigt hat: "Allgemein
scheint zu gelten: wer mit Schmitt kritisch umgeht [...], wird schnell zum
Ziel heftiger und emotionaler Ausbrüche" (Raphael Gross: Carl Schmitt und
die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Frankfurt a.m.: Suhrkamp 2000, S. 14).
(18) Vgl. Gabriel Seiberth: Anwalt des Reiches. Carl
Schmitt und der Prozeß "Preußen contra Reich" vor dem Staatsgerichtshof.
Berlin: Duncker & Humblot 2001.
(19) JF 13/2003, S. 6; vgl. auch das Interview mit von
Thadden in JF 36/1994, S. 3.
(20) Zur Rolle der Rede von "Mitteldeutschland" in der
Jungen Freiheit vgl. Alfred Schobert/Ronald Papke: Ab durch die Mitte. Der
Mitteleuropa-Gedanke in der Jungen Freiheit. In: Helmut Kellershohn (Hg.):
Das Plagiat. Der Völkische Nationalismus der Jungen Freiheit. Duisburg: DISS
1994, S. 297-322.
(21) Um nicht auch noch von den Sympathien des Muftis von
Jerusalem für die Nazis zu reden. Vgl. zu Kühnen Alfred Schobert:
"Kulturrevolution" im Neonazismus der 80er Jahre. Antiamerikanismus,
Antisemitismus und die Mär von der arabischen Welt als natürlichem
Alliierten der Deutschen. In: Archiv-Notizen 1/2003, S. 4-9.
(22) Vgl. Alfred Schobert: "Mit Allah und Odin". In: Der
Rechte Rand H. 69 (März-April 2001), S.19-21.
(23) Kein Zufall auch, dass die "Junge Freiheit" die
ersten Interviews nach dem 11.9.2001 separat als Buch veröffentlicht hat,
das nun schon in der zweiten Auflage erscheint; vgl. Die Tragödie des
Westens. Beiträge und Interviews nach dem 11. September 2001 u.a. von Peter
Scholl-Latour u.a. Mit einem Vorwort von Dieter Stein. Berlin: Junge
Freiheit 2002.
(24) Vgl. insbesondere Carl Schmitt: Carl Schmitt:
Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde
Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht [zuerst 1939]. (Text
der 4. Aufl. 1941). In: ders.: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den
Jahren 1916-1969. Hrsg., mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von
Günter Maschke. Berlin: Duncker & Humblot 1995, S. 269-371.
(25) Vgl. JF 6/02, S. 3 u. 7/02, S. 8.
(26) JF 8/2003, S. 3; dieses Interview erschien auch in
"Zur Zeit", dem österreichischen Ableger der JF (vgl. ZZ 9/2003, S. 4); zu
Langs Kritik des US-Kulturimperialismus vgl. seine viel beachtete Rede in
Mexiko, abgedruckt in Culture de masse ou culture des peuples (= Raison
Présente H. 64). Paris: Nouvelles Éditions Rationalistes o.J., S. 97-100
(27) Chalmers Johnson: Ein Imperium verfällt. Ist die
Weltmacht USA am Ende? [amerik. zuerst 2000] München: Goldmann 2001.
(28) Vgl. JF 13/2002, S. 3 u. S. 6; vgl. Patrick
Buchanan: Der Tod des Westens. Geburtenschwund und Masseneinwanderung
bedrohen unsere Zivilisation. Selent: Bonus 2002.
(29) Wallerstein ist ein weltweit Anerkennung genießender
linker Sozialwissenschaftler. Vgl. als jüngste Veröffentlichung Immanuel
Wallerstein: Utopistik. Historische Alternativen des 21. Jahrhunderts
[amerik. zuerst 1998]. Wien: Promedia 2002.
(30) JF 14/2003, S. 14-15. Gleich nach Erscheinen des
amerikanischen Originals erhielt Buchanan Beifall von der rechten Seite. Die
von Ingrid Rimland betreute "zundelsite" des Holocaust-Leugners Ernst Zündel
nannte den Text den "heute wahrscheinlich bedeutendsten Artikel".