http://www.dw.de RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsextreme Parteien verbieten oder nicht?
Zu einer Demokratie gehören Randgruppen - und damit
auch Anhänger extremer Ansichten. Der Umgang mit Rechtsextremen in Europa
ist unterschiedlich. Parteiverbote sind umstritten.
Seit dem Bekanntwerden einer Mordserie von drei
Rechtsextremisten im vergangenen Jahr wird in Deutschland erneut über das
Verbot der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD)
diskutiert.
DW.DE -
05.06.2012, Autor Kay-Alexander Scholz, Red. Claudia
Hennen - Die rassistische und nationalistische Partei wurde 1964
gegründet und ist die derzeit bekannteste Partei am rechten Rand. In den
Landtagen der beiden Bundesländer Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sitzen
Abgeordnete der NPD. In aktuellen Umfragen aber liegt die NPD dort bei nur
noch zwei bis drei Prozent und würde damit bei Wahlen nicht mehr in den
Landtagen vertreten sein. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nannte
die NPD vor kurzem eine "absterbende Partei".
Die Wähler hätten begriffen, dieser Partei keine Stimme zu
geben. Dennoch, so betonte Friedrich in einem Interview mit der "Leipziger
Volkszeitung", es gebe "ganz klare verfassungsfeindliche Erscheinungen".
Ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte im
Jahr 2001. Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren ein, weil es
Informanten des Verfassungsschutzes, sogenannte V-Leute, in der NPD gab. Im
März 2012 beschlossen die Innenminister, diese Informanten auf der
NPD-Führungsebene abzuziehen, um damit ein erneutes Verbotsverfahren möglich
zu machen.
127 Verbote in Deutschland
Doch wie wirksam sind Verbote von extremen Parteien und
Vereinigungen? Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) lud jüngst zu einer
Fachtagung, um unterschiedliche Ansätze einer Verbotspraxis in Europa zu
reflektieren. Wie geht eine pluralistische Gesellschaft mit jenen Kräften
um, die mit Hass und Unmenschlichkeit jene Werte ablehnen, die das Fundament
einer humanen Gesellschaft ausmachen, fragte Ralf Melzer von der FES.
Bislang wurden erst zwei Mal Parteien in der
Bundesrepublik Deutschland verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei,
eine Nachfolge-Organisation der nationalsozialistischen NSDAP - vier Jahre
später dann die Kommunistische Partei. Die Zahl der verbotenen Vereine und
Gruppierungen in Deutschland liegt weitaus höher: Zwischen 1951 und 2012
wurden in diesem Bereich 127 Verbote ausgesprochen. Damit wurden auch die
beiden rechtsextremen Wellen in den 1950er- und 1990er-Jahren bekämpft. Seit
der Jahrtausendwende sind es vor allem rechtsextreme Kameradschaften, die
verboten wurden.
Auslöser der Verbotswellen waren Gewalttaten oder eine
Hakenkreuz-Schmierwelle, erläuterte auf der FES-Tagung Fabian Virchow von
der Fachhochschule Düsseldorf. Seiner Meinung nach konnte damit das
nationalsozialistische Milieu geschwächt werden, ohne dass es zu einer
Radikalisierung im Untergrund kam. Vor allem Mitläufer würden durch Verbote
abgeschreckt, der Kern des Milieus aber bliebe meistens unberührt.
Steuergelder verweigern statt verbieten
Geld bedeutet Macht im politischen Wettbewerb. Im Jahr 2010 finanzierte sich
die NPD zu 38 Prozent aus Steuergeldern, berichtete Sebastian Rosner
von der Universität Düsseldorf. Die staatliche Teilfinanzierung ist im
deutschen Parteiengesetz festgeschrieben - im Schnitt konnten damit alle
Parteien im Jahr 2010 rund 27 Prozent ihrer Ausgaben decken.
Rosner stellte ein Modell vor, mit dem der deutsche Staat unterhalb der
Verbotsschwelle der NPD den Geldhahn zudrehen könnte. Seiner Meinung nach
könnte das geschehen, indem der NDP mangelnde demokratische
Parteiorganisation nachgewiesen würde. Damit hätte die NPD eine der
Bedingungen für das deutsche Parteiengesetz nicht erfüllt. Doch Rosners
Modell blieb trotz seiner Plausibilität bei der Tagung eine theoretische
Diskussion.
Breites Spektrum in Europa
Spannender waren die Erfahrungen der Referenten aus dem europäischen
Ausland. Die Spanne reicht von einer strikten Verbotspolitik, wie sie seit
1947 in Österreich auch durch Strafverfahren gegen Einzelpersonen
praktiziert wird, bis hin zur Praxis des Nicht-Verbietens in Ländern wie
Großbritannien und Norwegen.
Brigitte Bailer vom Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstands (DöW) unterstrich bei der Fachtagung in Berlin,
dass sich das Verbot in ihrem Land klar auf ein bestimmtes Segment beziehe,
nämlich auf das "militanteste, radikalste Element des Rechtsextremismus und
nicht das ganze Kontinuum, was zum Rechtspopulismus hingeht". Hier seien
andere Auseinandersetzungen und die Demokratie gefordert, verteidigte Bailer
das österreichische Modell, das immer wieder zu Kontroversen über mangelnde
Meinungsfreiheit führt.
Das österreichische Verbotsgesetz entstand aus der unmittelbaren
Diktatur-Erfahrung. Den Nationalsozialisten sollte keine neue Chance gegeben
werden können, so Bailer. Anders sei die Situation in Großbritannien, wo die
Bevölkerung traditionell sehr stolz auf ihre historischen Institutionen sei.
Schwieriger Dialog
Matthew J. Goodwin von der Universität Nottingham berichtete, dass es in
Großbritannien bisher kaum staatliche Eingriffe im Kampf gegen
Rechtsextremismus gegeben habe. Weder wurde in den 1970er-Jahren die
Nationale Front, noch die British National Party (BNP) nach der
Jahrtausendwende oder aktuell die English Defense Leaque (EDL) verboten.
Wenn, dann gab es Verfahren gegen einzelne Personen, wie im Jahr 2006 gegen
den BNP-Führer Nick Griffin.
Das habe mehrere Gründe, sagte Goodwin. Zum einen hätte es die Szene nie
geschafft, sich professionell zu etablieren und sie sei auch aktuell sehr
fragmentiert. Die einst einflussreiche BNP kollabierte 2011 nach
Personalgerangel sowie Korruptionsfällen. Und die EDL hätte gar keine
offizielle Struktur - man könne ihr auch nicht beitreten. Das hieße aber
nicht, so Goodwin, dass die Szene nicht aktiv sei. Insgesamt gebe es ein
gutes Klima für eine Wählermobilisierung am äußersten rechten Rand.
Hauptfeld im Kampf gegen Rechtsradikale sei in Großbritannien aber die
kommunale Ebene. Auch weil die Sympathisanten sozial und örtlich recht gut
einzugrenzen seien, würde hier versucht, durch intensive Gespräche und
Sozialarbeit Wähler davon abzuhalten, den Extremen ihre Stimme zu geben. Die
Auseinandersetzungen würden sich weniger um ideologische und viel mehr um
Alltagsthemen drehen. Die so gemachten Erfahrungen seien gut, so Goodwin.
Der junge Wissenschaftler gab auch zu bedenken, dass es bisher keine Beweise
dafür gebe, dass ein Verbot langfristig effektiv sei.
Wehrhafte Demokratie
Eindrucksvoll schilderte Oyvind Groslie Wennesland aus Norwegen die
Situation in seinem Heimatland nach dem grausamen Attentat im Juli 2011, bei
dem der rechtsradikale Anders Behring Breivik 69 Menschen ermordete.
Breiviks Tat sei ein Angriff auf die Grundfesten der norwegischen
Gesellschaft mit ihren Maximen Freiheit und Solidarität gewesen.
Ministerpräsident Jens Stoltenberg hätte diesen Grundfesten nach dem
Attentat die Treue gehalten, so Wennesland, der politischer Berater für die
norwegische Arbeiterpartei (Ap) ist, der auch Stoltenberg angehört.
Der Ministerpräsident hatte sich damals gegen ein Verbot der
rechtspopulistischen Fortschrittspartei ausgesprochen, der Breivik zeitweise
angehörte. Stattdessen wurde eine landesweite Debatte angestoßen, die vor
allem auch im Internet heftig geführt wurde. Dem Extremismus wurde in
Norwegen nicht mit einem Verbot, sondern mit noch mehr Offenheit begegnet.
Der Weg "more open - more strange" habe sich bewährt, berichtete Wennesland.
Obwohl das gesamte Land durch das Attentat tief erschüttert wurde, gebe es
eine breite Skepsis gegenüber Verboten zugunsten öffentlicher Debatten. Zu
bereden gibt es dennoch einiges, betonte Wennesland. Jüngsten Umfragen
zufolge hätte jeder achte Norweger antijüdische Ressentiments.
Am Ende der Veranstaltung warnte Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen
Rechtsextremismus in Berlin davor, die NPD klein zu reden. Sie sei gerade in
der deutschen Hauptstadt ein Sammelbecken für Angehörige sehr militanter
Gruppen. In der Diskussion dazu kam auch zur Sprache, dass selbst wenn ein
Verbot der Partei in Deutschland erfolgreich sei, der europäische
Gerichtshof das Urteil wieder kippen könnte. Denn für ein Verbot auf
europäischer Ebene müssten zwei Bedingungen erfüllt sein: Es muss eine
direkte Gefahr von der Partei ausgehen und eine massive Unterstützung von
terroristischen Anschlägen nachweisbar sein.
Eine Materialsammlung aus dem Jahr 2002 bietet
Fakten und Argumente zum NPD-Verbot und
bietet die Möglichkeit sich mit der
NPD, ihren Zielen und ihren Verbindungen in die Kameradschafts- und Skinhead- Szene und
zum Rechtsterrorismus auseinander zusetzen... |