Wir sind, was volkt:
Das Schlagloch Von
Viola Roggenkamp
"Doch das Gift, das Dir hier aus der Feder floss, ist Dir nicht
einfach zu einem schlechten, es ist eher zu einem üblen Buch
geronnen."
Ruth Klüger an Martin Walser über dessen Roman "Tod eines Kritikers", FR
vom 27. Juni Das Einzige, wovon wir mit
Sicherheit sagen können, dass es vorbei ist, nämlich die
Fußballweltmeisterschaft, hat mich gar nicht interessiert. Gut, dass
sie vorbei ist. Martin Walser interessiert mich auch nicht, und gern
würde ich sagen können, gut, dass er vorbei ist. Aber er ist nicht
vorbei. Mit ihm müssen wir uns weiter beschäftigen, und mit Jürgen
W. Möllemann, denn beide sind Symptom für etwas, was in unsere
Zukunft weist. Wahrscheinlich dringen darum so viele auf Schluss der
Debatte. Möllemann und Walser haben
Tabubrüche inszeniert. Beide aus einem persönlichen Hassgefühl
heraus gegenüber einem bestimmten, einem ihnen wichtigen Juden.
Möllemann wie Walser benutzen das als Beweis dafür, keine
Antisemiten zu sein. Möllemann wie Walser ist es wichtig, einen
ihnen persönlich verhassten Juden öffentlich zu attackieren. Die
persönliche Attacke gegen einen bestimmten Juden in der
Öffentlichkeit zelebrieren diese beiden deutschen Männer als eigene
Mutprobe des deutschen Menschen schlechthin, des nichtjüdischen
deutschen Menschen, versteht sich. Zwei
Dealer namens Möllemann und Walser, der eine in der Politik, der
andere in der Literatur, Zwillingsbrüder, etwa gleich groß, gar
nicht besonders groß, und auf den ersten Blick daran zu
unterscheiden, dass der eine unter seiner Nase einen kleinen Bart
trägt und der andere nicht. Beide handeln mit billigem Schnaps und
führen uns vor, wie viele Leute in Deutschland gern diesen Fusel
saufen. Warum hat der Verlag Suhrkamp das
Buch von Martin Walser veröffentlicht? So viele schlechte
Manuskripte werden nicht veröffentlicht. Warum dieses? Weil dieser
Fusel ein ganz besonderer Saft ist. Er verkauft sich großartig. Die
erste Auflage sei schon vergriffen, heißt es. Was haben wir zu
erwarten? Noch mehr Schundromane, in denen ein deutscher Held seinen
Peiniger ermordet - einen Juden. Viele Autoren wollen zu Geld
kommen, und damit kommt man bekanntermaßen schnell zu Geld. Das
Sujet ist altvertraut: Mach den Juden zum
Giftmischer und mach den Juden lächerlich, lass ihn mit einer
blonden deutschen Frau schlafen, bring ihn um und lass ihn wieder
auferstehen, dass du behaupten kannst, der Jude sei nicht
totzukriegen und habe alles selbst inszeniert, sogar seine
Ermordung. Davon handelt der neue Roman von Martin Walser. Einen
Spaß hat sich der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels
gemacht mit der Auschwitz-Lüge. "Wenn es Antisemiten gibt, ist es
mir lieber, sie bekennen sich dazu", hatte Ignatz Bubis gesagt, und
Martin Walser hatte ihm geantwortet: "Das ist eine Anwendung, die
mir nicht schmeckt." Natürlich nicht. Walser
ist nicht nur ein übler Schwätzer und eitler Demagoge, er ist
inzwischen ein alter Mann. Seine Uhr läuft ab, er ist noch ohne
Literaturnobelpreis, doch dass er den bekomme, da sei Adonai, der
gute alte Gott der Juden, vor; auf das norwegische Komitee allein
möchte ich mich nicht verlassen. Um Möllemann muss sich die FDP
kümmern. Sie sollte ihn rausschmeißen aus der Partei. Auch Möllemann
dealt mit dem antisemitischen Fusel. Die
Familie Deutschland ist seit ihrer Wiedervereinigung ungemein
empfänglich für dieses Gesöff. In der Zeit der gewaltsamen Trennung
konzentrierten sich Hass und Neid der einen Deutschen auf die
anderen Deutschen. Das war eigentlich ganz praktisch. Seit ihrer
gewaltsamen Wiederzusammenführung an einen Tisch und in ein Bett
werden alte Gewohnheiten wach: Wir sind das Volk! Eine beklemmende
Parole. Ein Schlachtruf zum Wiedererkennen.
Das Volk schreibt an die FDP, es möchte über Israel offen
diskutieren. "Wenn uns 35.000 Menschen schreiben, sie möchten über
Israel offen diskutieren, dann heißt das doch, es werde erst jetzt
offen diskutiert", sagt Ulrike Flach vom FDP-Vorstand. Das ist
Walsersche Erkenntnistheorie. Wer oder was soll das Volk daran
gehindert haben, offen über Israel zu diskutieren? Die Antwort gibt
Walser unter M wie "Moralkeule Auschwitz".
Ist es wirklich so platt? Ja, liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, es
ist so platt, man geniert sich, es hinzuschreiben. Jürgen W.
Möllemann mag am rechten Rand auf Stimmenfang gehen, die
gutbürgerliche Mitte kommt ihm von selbst entgegen. Diese geistig
bemittelteren Deutschen surfen im Internet zu Schalom Achschaw, der
israelischen Friedensbewegung, und bedienen sich dort, um
auftrumpfen zu können, dass die Juden ja selbst fänden, Scharon sei
wie Hitler. Wenn linke oder rechte Israelis Scharon mit Hitler
vergleichen, ist das deren Sache. Dass
behauptet wird, in der deutschen Öffentlichkeit dürfe Israel nicht
kritisiert werden, ist eine unverschämte, eine dreiste Lüge, eine
Lüge, die in sich das Gift des Antisemitismus trägt. Die deutschen
Medien und ihre Leser und Zuschauer wissen, dass seit fünf
Jahrzehnten oft und sehr kritisch über Israel berichtet wird und
dass man (auch in dieser Zeitung) erst seit kurzem, eigentlich erst
seit Scharon, bereit ist, Arafat mal ein Haar zu krümmen.
Man möchte als jüdischer Mensch hierzulande nicht den Antisemitismus
hochreden. Ruth Klüger, die mit "weiter leben" ein wichtiges Buch
geschrieben hat über ihre Kindheit und Jugend als Jüdin in Wien und
in deutschen Konzentrationslagern, schreibt an Martin Walser mit
leicht ironisch gekrümmten Samtpfötchen. In ihrem offenen Brief, aus
dem ich das obige Zitat gewählt habe - es ist die schärfste
Formulierung, die ich darin finden konnte -, erklärt die Professorin
für Literaturwissenschaft in alter Freundschaft ihrem lieben Martin,
diesem viel gelesenen und gefeierten deutschen Schriftsteller, was
Satire ist und was Wirklichkeit und was Literatur. Ihre Sprache
scheint gelähmt. Vielleicht vor Ekel und vor Enttäuschung und
vielleicht auch vor Müdigkeit. Als
nachgeborener jüdischer Mensch in Deutschland möchte man die eigenen
Wahrnehmungen von Antisemitismus nicht überspitzen, auch aus Respekt
vor der Generation der Überlebenden. Was haben die alles überlebt!
Auch möchte man es sich mit den nichtjüdischen Mitbürgern nicht
verderben, von denen sich so viele in den vergangenen Jahrzehnten
solche Mühe gegeben haben, alles richtig zu machen: von der
Vergangenheitsbewältigung bis zur Klezmermusik. Darunter ist
offenbar in vielen der heiße Wunsch erhalten geblieben, es den Juden
endlich mal zu zeigen. Was denn? Wie satt man die Schuld der
Elterngeneration hat oder wie satt man die Juden hat?
Es ist wahr, die FDP instrumentalisiert den Judenhass in
Deutschland, sie will damit Prozente machen und wird damit Erfolg
haben. Niemand zweifelt daran. Die alten Liberalen wollen durch
Möllemann, die junge FDP will mit Möllemann in die Regierung. Und
Stoiber auch. Die CDU mit dieser FDP. Wie Suhrkamp mit Walser. Der
Schriftsteller geht nun auf Lesereise und badet in der Begeisterung
seiner Anhängerschaft. Abdruck mit
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2007
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