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Einige Gedanken ueber den Antisemitismus

Von Mathias Acher (1) (Wien)
aus: Ost und West, August 1902

Es gab eine Zeit, wo ich dem Judenhass mit einem gewissen Wohlwollen gegenüberstand. Mit einer Art Behagen sah ich seinem Treiben zu, fast freute ich mich seiner Erfolge und Fortschritte. Wenn ich diese Empfindungen nicht immer rund heraussagte, so war es nur aus einer Art taktischer Zurückhaltung, die ich mir auferlegen zu müssen glaubte, um nicht zu sehr bei denjenigen anzustossen, die ich für nationaljüdische Bestrebungen zu gewinnen hatte.

Wie gerne hätte ich sie aber mit der vollen Wahrheit geärgert und ihnen zugerufen: Die bösen Buben haben ja ganz recht, ihre Beleidigungen mögen sich ja nicht lieblich anhören und sind in ihrer absoluten Form sicherlich unzutreffend, aber es sind doch auch nur die stammelnden Ausdrücke der sehr richtigen Empfindung, dass zwischen Juden und Nichtiuden eine unüberbrückbare Kluft gähnt, dass beide gegensätzliche Schönheits- und Sittlichkeitsideale haben. Sie haben recht und wir haben recht, und es ist gut, dass sie so wettern. Wir wissen jetzt wenigstens, woran wir sind; so lange ihre Abneigung still und schleichend war, wussten wir's nicht und besannen uns auch nicht auf uns selber.

Diese meine damalige Ueberzeugung hatte ihren Ursprung in einer an sich sehr berechtigten Abneigung gegen die Gefühle, die dem landesüblichen Anti-Antisemitismus fast durchaus zu Grunde lagen und liegen. Ich musste und muss mich immer fragen: Warum sind die Leute so erbittert, da sie ja selbst nicht achten, was jene begeifern? Hinter ihrer Erbitterung zuckt offenbar nicht der Nerv der beleidigten Volksehre, sondern schäumt einfach die besinnungslose Wut, die jeder Angegriffene auch gegen den mit Recht Angreifenden hat. Ihrer Erbitterung fehlt die Weihe der tiefen und innigen Ueberzeugung vom eigenen Recht. Neben dem moralischen hat sie aber auch noch ein intellektuelles Manko. Wer nicht blinde Spiessbürgeraugen im Kopfe hat, muss über den Versuch lächeln, mit dozierenden und doktrinären Gegenbeweisen einem alten, vererbten Hassbedürfnis der Völker, das den Teufel nach Beweisen fragt, beizukommen.

Aber es war und ist nicht recht, sich von dieser richtigen Einschätzung der vulgären "Abwehr" zu einer Art Anerkennung des Antisemitismus verführen zu lassen. In dieser Anerkennung geht man in gewissen Kreisen heute sehr weit. Ohne es offen einzugestehen, sieht man auf die duldsamen, weitherzigen, vorurteilslosen Nichtjuden mit gutmütigem Spott herab, während gerade die strammsten Antisemiten als so eine Art nachstrebenswürdiger Vorbilder, als achtungswerte Feinde betrachtet werden. Ich kenne z. B. zionistische Studenten, die ihre innere Genugthuung nicht verbergen können, wenn sich irgend ein alldeutscher Dutzend- oder Uebernarr lobend über die nationaljüdischen Bestrebungen ausspricht.

Ich möchte glauben, dass der Antisemitismus denn doch nicht solch hohen Respekt verdient, dass er gar nicht objektiv so gerechtfertigt und daher auch gar nicht so unangreifbar ist, wie unsere Ultras sich einbilden. Ich will nicht seine gegenwärtige Macht ableugnen oder ignorieren, wie dies gerade von kritischen Köpfen, wenn auch immer seltener, so doch leider noch allzu häufig geschieht. Ich bringe es nur nicht zu stände, mich einerseits über diese Macht zu freuen, andererseits sie insofern als ewig anzuerkennen, als ihr nicht durch eine zionistische Lösung der Boden entzogen wird.

Ich kann daher auch nicht zugeben, dass man den Antisemitismus ruhig gewähren lässt und den Kampf gegen ihn aufgiebt.

Was ist, woher kommt eigentlich der Antisemitismus?

Die Beantwortung dieser Frage ist gar nicht so leicht, als man sie sich oft macht. Vor allem ist es unrichtig, die letzten Anlässe als Ursache aufzufassen. Das thun z. B. und hauptsächlich diejenigen, die die heutige Gestaltung der ökonomischen Verhältnisse für den Antisemitismus verantwortlich machen. Diese Verhältnisse sind bloss ein Anlass zum Antisemitismus gleich anderen Anlässen, die es auch noch giebt, z. B. die ungünstige Verteilung der Juden über die Erdoberfläche, das jüdische Erwerbsleben, das auf diese Verteilung und auch schon auf primäre judenfeindliche Angriffe zurückzuführen ist. Von diesen Anlässen heisst es psychologisch tiefer hinunterschreiten. Und man kommt auf diesem Wege zunächst zu Erscheinungen, die schon ganz wie Ursachen ausschauen, zur religiösen Verschiedenheit und zum nationalen Gegensatz. Das sind wohl keine Anlässe mehr, keine äusseren Anstösse, sondern in den Faktoren selbst gelegene notwendige Gründe, aber doch noch nicht die letzte Ursache. Sie weisen erst auf das hin, wovon sie, wenn sie auch eine selbständige Wesenheit, einen eigenen Wirkungskreis gewonnen haben, abstammen, auf den Rassengegensatz, als die letzte, innerste, latente Ursache des Judenhasses und aller judenfeindlichen Bewegungen.

Ich kann im Gegensatz zu den meisten Sozialkritikern, die ja in nationalen Fragen, namentlich aber im Punkte der Judenfrage ihre sonstige Gründlichkeit zu verlassen pflegt, von dieser meiner alten Ueberzeugung nicht abgehen. Ich bin aber weit entfernt, in diesen Rassengegensatz verliebt zu sein und ihm ein uneingeschränktes Recht und eine uneingeschränkte Macht, besonders zur Aufhetzung der Menschen gegen einander zuzusprechen. Dies nicht etwa aus apriorischen Humanitätsgründen, sondern auf Grund ruhiger, sachlicher Prüfung. Diese lehrt nämlich, dass die Rasse nicht die einzige Geschichtskraft ist, dass ihre Macht von den anderen Geschichtskräften eingedämmt wird und ferner, dass die gewaltsame Austragung der Rassenkämpfe ebensowenig zu deren Wesen gehört, wie etwa die gewaltsame Austragung der wirtschaftlichen Kämpfe zu dem Wesen dieser. Die Menschheit tritt offenbar immer mehr in ein Stadium ein, wo sich alle ihre Kämpfe in friedlichen, gefälligen Formen abspielen, ohne die ungeheuren Säfteverluste, wie sie bisher vorkamen, sondern, im Gegenteile unter stetem, reichlichen Gewinn. Dass sich dieser Gewinnst auch in sozialsittlichen Formeln niederschlägt, wer könnte das verhindern oder möchte es bedauern?

Und darum sind mir die Antisemiten so widerwärtig, weil sie, die gegenwartstaubsten und zukunftsblindesten, von all dieser Entwickelung nichts sehen und hören und sie mit ihren kleinen oder kranken Gehirnen aufhalten wollen. Ja, aber sie haben doch das Verdienst, das Prinzip der Rasse erkannt und gegen einseitige Ueberschätzer des wirtschaftlichen Prinzipes zur Geltung gebracht zu haben. Keine Spur! Sie haben einfach, was nach den grossen naturwissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnissen unseres Zeitalters greifbar in der Luft lag und im Zuge der Entwickelung von allen nach vorwärts gerichteten Parteien praktisch verwertet wurde oder verwertet zu werden im Begriffe steht, zu einer tollen schäbigen Farce verdichtet.

Und es giebt hierin keinen nennenswerten Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen dieser Gesellschaft. Noch bis vor gar nicht langer Zeit habe ich von ihrem radikal-nationalen Flügel doch weit mehr gehalten als von dem sich christlich nennenden. Ich bin auch von dieser Meinung, zu der ich wahrscheinlich noch aus einem Rest von nationalistischer Wahlverwandtschaft oder von altem Respekt vor dem "achtungswerten Feinde" hielt, abgekommen. Ich danke meinem Gotte dafür. Was soll das grössere Verdienst dieser nationalen Antisemiten sein? Dass sie sich über ihre ungezügelten Rasseninstinkte ganz klar sind, dass sie eine Reinkultur derselben gezüchtet haben, dass sie jedes Geschichtsdenken durch ihren rassennärrischen Einschlag verfälschen, dass sie in ihren entwickelungsfeindlichen Marotten konsequent sind bis zur Lächerlichkeit, dass sie mit einem Worte in die tolle schäbige Farce System gebracht haben. Da sind mir die klobigeren und ungeschlachteren, aber dafür gemütlicheren, weniger monomanen und daher vom weltgeschichtlichen Standpunkt weniger gefährlichen Christlichsozialen fast noch lieber.

Vielleicht bin ich übrigens gegen die anderen deshalb etwas zu bitter, weil ich Gelegenheit habe, ihren unglückseligen Einfluss auf die westjüdische Jugend, soweit sie zionistisch ist, zu beobachten. Es thut einem in der Seele weh, den starren Partei- und Dogmenfanatismus der alldeutschen Quer- oder Schwachköpfe in jüdischer Toilette wieder zu finden. Wenn ich mir nur vor Augen halte, welche hässlichen, kleinlichen Wutausbrüche sicheren Meldungen nach schon meine gewiss gemässigten Artikel in "Ost und West" bei manchen Ultras hervorriefen, — dann kann ich immer und immer wieder nur mit einigem Hass an Schönerer und seinesgleichen denken, die diese unfruchtbare Weise als Beispiel und Miasma in die Welt gesetzt haben. Auf diese pathologischen Gecken fällt es zurück, wenn das arme jüdische Volk, welches ich liebe und dem ich angehöre mit allen Fasern meines Leibes und meiner Seele, und das wahrlich Grund hätte, höchstens nur einen Fanatismus zu kennen, den des Kampfes gegen allen Fanatismus, — wenn auch dieses jüdische Volk wieder in alte Delirien verfällt.

Doch es steht übrigens nicht so schlimm, weder mit der Macht der Antisemiten, noch mit den Aussichten der jüdischen Volksseele.

Schon lange kennt man den weittragenden Unterschied zwischen dem offen als solchen einherschreitenden Antisemitismus und dem alten, vererbten, latenten, innerlichen Judenhass, von dem jener nur eine Art lauter Aeusserung neben vielen geräuschlosen Aeusserungen ist. Aber man hat diesen Gegensatz meist nur dann ausgespielt, wenn es galt, die Folgen des Rassenprinzipes als unheilbar unheimlich darzustellen, die düsteren Farben des Golus noch düsterer zu malen. Der Gegensatz hat aber ein viel freundlicheres Gesicht, das man allerdings nur sehen kann, wenn man sich im Sinne der obigen Ausführungen und meines vorletzten Artikels in diesem Blatte von der Ueberschätzung der Rassengeschichtsmacht und übertriebener Golusangst frei gemacht hat. Dann erscheint gerade der alte vererbte, latente, innerliche Judenhass als Quelle zwar aller antisemitischen Ausbrüche, aber als eine Quelle, die im Laufe einer Entwickelung. an der man mitarbeiten kann, immer weniger und weniger ergiebig wird, bis sie zuletzt ein unscheinbares Gerinnsel sein wird, dessen geringe Wirkungen man mit in den Kauf nehmen muss, wie so manches im Völkerleben. Die antisemitischen Ausbrüche selbst wiederum erscheinen dann zwar als furchtbare materielle und moralische Verheerungen einer bis in ziemlich ferne Zukunft sich erstreckenden Gegenwart — aber auch als etwas, was mit allen Mitteln des fortschreitenden Geistes bekämpft werden muss und kann. Dann betet man nicht mehr in seinem stillen zionistischen oder nationalistischen Kämmerlein die Antisemiten als Helden einer neuen Offenbarung an, sondern erkennt sie als das, was sie sind, als blinde Maulwürfe, die nur noch obendrein den Grössenwahn haben, "blonde Bestien" zu sein. Diese Maulwürfe, sie mögen Erde aufschütteln, so viel sie wollen, was nützt ihnen das? Schon der heutige Stand der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwickelung lässt es ausser Zweifel, dass die ordentlichen Ackersleute der Geschichte, die Menschen des vorurteilslosen Forschens und der Arbeit die Maulwürfe wieder vertreiben und die aufgeworfenen Erdhügel wieder in fruchtbaren Humus verwandeln werden. Und diesen ordentlichen Ackersleuten sich anzuschliessen, nicht etwa eine unfruchtbare "Abwehr" betreiben, das ist die Aufgabe, die dem Juden gegenüber dem Antisemitismus zufällt. Es kann dabei nicht von bestimmten Parteien die Rede sein, denn die Linie, auf der gegenwärtig der Kampf gegen alle Mächte des Stillstandes und der verschimmelten Ueberlieferung wütet, ist lang und bietet auf vielen verschiedenen Stellen Platz für die jüdische Einreibung.

Man sage nicht, dass die jüdischen Kämpfer wegen ihrer verachteten Stellung nichts ausrichten, sondern eher noch schaden. Es ist ja richtig, dass der starke jüdische Einschlag in den im Sinne der Entwickelung kämpfenden Heeren den Antisemiten bei ihrer Propaganda Vorschub leistet. Aber es ist ein Fehler, den Wert dieser Thatsache so zu überschätzen, als es gewöhnlich geschieht. Vor allem, was intellektuelle Leistungen betrifft. Denn diese lassen sich überhaupt nicht addieren und in ihrer Summe mit der Summe der antisemitischen Erfolge vergleichen. Was ein genialer Jude im Sinne der ungestörten Entwickelung aufbaut, können alle Antisemiten der Welt nicht niederreissen. Aber auch die Leistungen der jüdischen Durchschnittskämpfer sind durch die antisemitischen Treibereien nicht entwertet. Denn für die wahre Gestaltung der Dinge kommt es weniger auf die augenblicklichen Siege und Niederlagen der Parteien und Gruppen an, als darauf, welche von ihnen die grösseren Quantitäten positiver Leistungen aufstapelt. — Betrachtet man die Dinge von diesem Gesichtspunkte, so kommt man zu der Ueberzeugung, dass von jüdischer Arbeit gegen die Mächte der Beschränktheit trotz aller antisemitischer Anstrengungen auch nicht ein Quentchen verloren geht.

So meine ich denn, dass wir den Antisemitismus als Kraft nicht unterschätzen, als Wert nicht überschätzen dürfen, und dass wir den Kampf gegen ihn mit allem Nachdruck führen müssen. Nur an einer Stelle hat er gar nichts, aber schon gar nichts zu suchen — in allem nämlich, was zu jener grossen Bewegung gehört, die ich die jüdische Renaissance-Bewegung*) nennen möchte.

Es ist nicht Sache dieses Aufsatzes, zum Zionismus Stellung zu nehmen. Aber so viel muss gesagt werden: ein Zionismus, der sich keine bessere Voraussetzung weiss als den Antisemitismus, ist schon von vornherein gerichtet. Da kann nichts anderes herauskommen, als der tristeste, hohlste Chauvinismus, hinter dem auch nicht ein Atom wirklichen nationalen Lebens steckt, der an Formen, Worten, Farben hängt, als ein greulicher Fanatismus, der jede Kritik und jeden Kritiker am liebsten totschlagen möchte. Ein solcher Zionismus konnte nur im Westen geboren werden, dort, wo es kein geistiges Vollblutjudentum mehr giebt, wo von jüdischem Leben nur mehr kümmerliche Reste vorhanden sind, wo eine innere, nationale Entwicklung längst aufgehört hat; konnte nur entstehen als eine Art Verlegenheitsantwort auf den Antisemitismus, mit dem er deshalb parallel laufen, dessen Geist er kopieren muss.

Jeden Vollblutjuden muss solch ein blutloser jüdischer Chauvinismus gar seltsam anmuten, er muss es seinen rutschenden Phrasen anhören, dass sie nicht aus harten, jüdischen Seelenskeletten, sondern aus jüdischen und arischen Seelenweichteilen stammen. Wenn nichtsdestoweniger dieser Chauvinismus infolge der bestehenden politischen Verhältnisse auch unter die Juden des Ostens Eingang gefunden hat, so braucht man sich davon nicht beunruhigen zu lassen. Denn den westlichen Juden mag der Zionismus nach der geringsten Enttäuschung zu einer Gefahr für den Rest ihres armseligen Judentums werden, die Ostjuden aber erzeugen aus sich heraus einen fortwährenden Strom lebendiger jüdischer Kultur, lebendiger jüdischer Ideen. Dieser Strom fliesst so oder so, unabhängig von antisemitischer Leibes- und Geistes- und von zionistischer Willensbedrängnis. Er fliesst, wie das Leben fliesst, weil er das Leben ist, das Leben des jüdischen Volkes. Er wird noch fliessen, wenn der heutige Rummel längst vorüber sein wird, und wird zusammen mit dem grossen Strom der gesamten Menschheitsentwickelung das jüdische Volk seinen nationalen Zielen zuführen, — ohne auf zionistische Wässerchen oder gar auf antisemitische Bächlein angewiesen zu sein.

*) Ich möchte den Ausdruck "Zionismus" lieber ablehnen, nicht so sehr wegen seines frömmelnden, romantischen Klanges, als hauptsächlich, weil er die Bezeichnung einer Partei geworden ist, die gewiss nicht alle Möglichkeiten einer jüdischen Renaissance-Bewegung umfasst, besonders diejenigen nicht, mit denen sich ein moderner Mensch befreunden kann.

1) Pseudonym Nathan Birnbaums

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