AK Rechtsextremismus des
Duisburger Instituts
für Sprach- und Sozialforschung
Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Index-Kongregation
des Vatikan zum Urheber einer kapitalen Fälschung. Hebräische Druckwerke
wurden einem schweren Eingriff der christlichen Zensur unterzogen. War in
hebräischen Schriften von – gleich zu achtenden – Nicht-Juden die Rede, d.h.
auch von Christen, setzten die Zensoren z. B. das Akronym "akum" – für
abodath kochabim u mazzaloth: Anbeter von Sternen und Tierkreiszeichen.
In der Tat – der archaischen Vielgötterei und später den
Römern hatten jüdische Autoren wenig Freundliches an den Hals gewünscht.
Indem die Zensoren nun aber Nicht-Juden, Christen und ‚Götzendiener' in den
gleichen begrifflichen Topf warfen, mussten Breitseiten gegen die Römer und
gegen ‚Götzendiener' plötzlich als Angriffe gegen die Christen, ja gegen
alle Nicht-Juden erscheinen.[1] Emanuel Deutsch
schreibt dazu (Der Talmud, Berlin 1869):
"In der Baseler Ausgabe [des Talmud] von 1578 - die dritte
der Zeit nach und seitdem fast ausschließlich die Musterausgabe - trat jene
wunderliche Creatur, der Censor, auf die Bühne. In seiner Angst um den
"Glauben" , den er vor aller und jeder Gefahr zu schützen hatte - denn man
meinte, der Talmud berge unter den allerunschuldigst aussehenden Worten und
Wendungen allerlei Bitteres gegen das Christenthum - führte dieser
gewissenhafte Beamte merkwürdige Dinge aus. (…) Ein- oder zweimal ist es
versucht worden, den Text von seinen häßlichsten Flecken zu säubern. Vor
etwa zwei Jahren wurde sogar ein Anlauf zu einer "kritischen" Ausgabe
genommen, wie es deren nicht blos für griechische und römische,
sanskritische und persische Classiker giebt, sondern wie man sie für den
reinsten Schund in diesen Sprachen längst veranstaltet haben würde. Auch
fehlt es (…) durchaus nicht an talmudischen Handschriften, wie
fragmentarisch sie auch zumeist seien. Unzählige Lesarten, Zusätze und
Berichtigungen wären aus den Codices der Bodleiana und des Vatikans, der
Bibliotheken von Odessa, München und Florenz, Hamburg und Heidelberg, Paris
und Parma heranzubringen. Allein ein böses Auge scheint auf diesem Buche zu
ruhen. Jene berichtigte Ausgabe bleibt ein Trümmerstück, gleich den beiden
ersten Bänden von Talmudübersetzungen - zu verschiedenen Zeiten begonnen,
deren zweite Bände nie das Licht der Welt erblickt haben. Es schien daher
rathsam auf die Editio princeps zu verweisen, als diejenige, welche zum
Wenigsten von den Censur-Unbilden späterer Zeitalter frei geblieben." (S.
6/7)
Erst Lazarus Goldschmidt unternahm (während mehrerer
Jahrzehnte, zwischen 1897 und 1936) die vollständige deutsche Übersetzung
des unzensierten Talmud in 12 Bänden. Dies änderte jedoch wenig: Die
Grundlage der gesamteuropäischen, antisemitischen Zitier- und
Abschreibgemeinschaft hat bis heute Bestand: Die Fälschungen der
Index-Kongregation wurden über die Jahrhunderte weitergereicht, verschärft
und mit weiteren Kompilationen angereichert, die niemand nachprüfen konnte
oder wollte.
Eine der international schlimmsten Früchte (Entdecktes
Judentum) legte im Jahr 1700 der Heidelberger Orientalist Johann Andreas
Eisenmenger (1654-1704) vor.[2] Er gab an, mit dem
Werk auf die Konversion einiger Christen zum Judentum reagiert zu haben. Die
Intervention von Samson Wertheimer am österreichischen Hof vermochte es, die
Verbreitung des Werks zu verhindern, bis dessen Inhalt geprüft sei. Nach
Eisenmengers Tod erlaubte der preußische König Friedrich I. jedoch auf
eigene Kosten einen Neudruck des Werks in Königsberg (1711) – eine Prüfung
war nicht erfolgt.
Mit August Rohling und seinem Der Talmud-Jude trat im Jahr
1871 ein Mann in Eisenmengers Fußstapfen, der seine wissenschaftliche
Skrupellosigkeit offen einräumte: In der 2. Auflage des Werks wies er jede
Kritik zurück, "weil es mir zu irrelevant ist nachzuschlagen". Diese Aufgabe
übernahm noch im Jahr des Erscheinens der Rohling'schen Fälschung der
Hannoveraner Rabbiner und Seminardirektor I. Kroner.
In zwei Abteilungen unter dem Titel Entstelltes, Unwahres
und Erfundenes in dem "Talmudjuden" Professor Dr. August Rohling's (Münster
1871) wies Kroner nicht nur nach, dass sich die Masse der Rohling'schen
Angaben in den angegebenen Quellen nicht so oder überhaupt nicht fanden,
sondern auch, dass Rohling aus Eisenmenger, vor allem aber aus dem 1869 in
Paris erschienenen Pamphlet des Roger Gougenot des Mousseaux Le juif, le
judaïsme et la judaisation des peuples chrétiens abgeschrieben hatte, ohne
die Quelle zu nennen. Damit erfüllte Rohling nicht nur den Tatbestand der
Fälschung, sondern auch den des Plagiats. "Woher die Neigung nach
Frankreich, jetzt, wo es Patriotismus ist, deutsch zu sein?" fragt Kroner
und kommt zum abschließenden Ergebnis: "Der Herr Professor kennt den Talmud
fast gar nicht und kann nicht ein Blatt in demselben ohne Fehler lesen, wenn
er nicht vorher noch lange Studien an der Hand eines Talmudkundigen
gemacht."[3]
Diese Diagnose sollte – in Gestalt des Aron Briman – von der
Wirklichkeit noch übertroffen werden. Briman war getaufter Jude, d.h. "nach
einander Jude, Protestant und Katholik"[4]. Sein
Der Judenspiegel (1883) erschien anonym in Paderborn und wiederholte bereits
bekannte Talmud-Zitat-Fälschungen. Als eine Tageszeitung in Münster Auszüge
druckte, kam es zum Prozess. Ein Dr. Jacob Ecker erbot sich als Gutachter,
ohne hebräische oder gar talmudische Kenntnisse zu haben. Er ließ kurzerhand
Briman das Gutachten selbst schreiben (Der Judenspiegel und die Wahrheit)
und auf diese Weise dem Urteil entkommen. Als Gegenleistung ließ Ecker
Brimans Judenspiegel danach nicht nur unter eigenem Namen erscheinen (Die
Hundert Gesetze des Judenkatechismus) – um eine Professur zu erhalten. Er
empfahl Briman auch gleich weiter – an August Rohling in Österreich, als
Berater bei dessen talmudischer Materialsuche.
Rohling war gerade mit einer Artikelserie in der "Tribüne"
gegen seine Kritiker beschäftigt, in einer Gazette, "die unter gewichtiger
Unterstützung gedruckt wurde, um in Wien das tschechische Evangelium zu
predigen und die liberale deutsche Partei zu bekämpfen." Rohling publizierte
die Artikel noch im Jahr 1883 als Band unter dem Titel Meine Antworten an
die Rabbiner oder fünf Briefe über den Talmudismus und das Blutritual der
Juden.[5] Nach Rohlings eigenen Angaben vom 23.
Juni 1883 (in Prag) sollen bereits zu diesem Zeitpunkt 200 000 Exemplare
verbreitet worden sein – Rohling war längst ein gemachter Mann.
Es war die Zeit, als auch der Fall von Tisza-Eszlar
Schlagzeilen machte:
"Das war ein Ereigniß, das in ganz Europa Aufsehen machte;
aber nicht der an sich nicht ungewöhnliche Kriminalfall erregte die
Aufmerksamkeit, nicht die Frage, ob und von wem das Mädchen Esther ermordet
wurde, kam in Betracht, sondern lediglich das Motiv des fraglichen Mordes.
Ein Raubmord war von vorhinein ausgeschlossen, ebenso fehlte der
Anhaltspunkt für die Annahme eines Lustmordes oder eines Mordes aus Rache. -
Alles drehte sich darum, ob hier ein Mord aus religiösen Motiven und zwar
nicht zur Vergeltung einer religionsfeindlichen Aeußerung oder Handlung der
Ermordeten, sondern in Ausübung einer religiösen Pflicht, als
gottesdienstliche Handlung, kurz ein ritueller Mord begangen wurde, und so
beschämend es für die selbst-gefällige Vergötterung unseres aufgeklärten (?)
Zeitalters klingen mag, muß es gesagt werden, daß es Tausende und aber
Tausende aus allen Ständen und Berufsklassen gibt, welche glaubten und noch
glauben, daß die jüdische Religion den rituellen Christenmord und den Genuß
des dadurch gewonnenen Christenblutes gebietet oder mindestens empfiehlt.
Die Antisemiten versahen sich auch ihres Vortheiles, sie beeilten sich, die
Situation auszunützen und das Bildniß (?) des rituell geschlachteten
Mädchens, der armen zum jüdischen Gottesdienste geopferten Christin, wurde
dem großen Antisemitencongresse in Dresden vorgeführt. (…) Und nun tritt
Rohling auf den Plan. Mit anwidernder Beflissenheit drängt er sich heran, um
aus dem Schatze seiner von allen Fachgenossen verläugneten Gelehrsamkeit
Beweise für den rituellen Christenmord als jüdisches Religionsgebot
beizubringen und sich zur eidlichen Bekräftigung vor Gericht zu erbieten. Er
schreibt endlich ein Buch unter dem Titel "Die Polemik und das Menschenopfer
des Rabbinismus", worin er Beweisstelle auf Beweisstelle häuft, und auch von
diesem Buche sind schon über 2000 Exemplare abgesetzt."[6]
Schon den Gerichten in Dresden und in Habelschwerdt in
Preußisch-Schlesien hatte Rohling mit schriftlichen Gutachten gedient, in
denen er "fast in der Form eines antisemitischen Glaubensbekenntnisses alle
behaupteten Scheußlichkeiten der jüdischen Religion" aufzählte. Die
Behauptung, der rituelle Mord sei eine mündliche Geheimlehre der Juden, die
oft befolgt worden sei, verknüpfte er mit dem Satz: "Ich kann auch dies auf
Verlangen amtseidlich erhärten". Oder er sei "jederzeit bereit, hierauf
einen heiligen Eid zu leisten"[7]. Auch zum
Prozess in Tisza-Eszlar brachte sich Rohling ins Spiel. Als Lockspeise für
die Richter diente ihm nun die (selbstverständlich absurde) Behauptung, er
habe soeben (sozusagen als erster Hebraist der Menschheitsgeschichte)
Kenntnis von schriftlichen jüdischen Quellen zum mündlichen Ritualmord-Gebot
erhalten:
An den Herrn Abgeordneten Geza Onody in Tisza-Eszlar.
Prag, am 19. Juni 1883.
Nachdem ich in meinen "Antworten an die Rabbiner" gesagt
habe, daß ich im Talmud, soweit wir denselben im Druck kennen, keinen Beweis
für den rituellen Mord der Juden gefunden habe, so discutiren die Juden
darüber, daß derartiges in ihrer Litteratur überhaupt nicht vorkomme.
Ich erachte es für meine Pflicht, jetzt, wo ein solcher Fall
gerade vor Gericht verhandelt wird, Euer Hochwohlgeboren zu verständigen,
daß ich nach Verfassung meiner obigen Schrift in den Besitz eines durch die
Jerusalemer Unternehmung des Moses Montefiore noch im Jahre 1868
hinausgegebenen solchen hebräischen Werkes gelangt bin, auf dessen Seite
156a geschrieben ist, daß das Vergießen des Blutes einer nicht jüdischen
Jungfrau für die Juden eine überaus heilige Handlung, daß das so vergossene
Blut dem Himmel sehr angenehm und den Juden Gottes Erbarmen verschaffe.
Dies ist ein kurzer Auszug der ganzen Stelle, welche ich
wortgetreu binnen kurzem der Oeffentlichkeit übergeben werde. -
Auf die Wahrheit des Obigen bin ich, wenn es nothwendig ist,
bereit, hier vor Gericht auch einen Eid zu leisten.
Dr. August Rohling m. p., kaiserl. königl.
Universitätsprofessor in Prag.[8]
Rohlings menschenverachtende Dreistheit provozierte im Juli
1883 vier Zeitungsartikel von Dr. Joseph Samuel Bloch in der "Wiener
allgemeinen Zeitung." Bloch, Bezirksrabbiner in Floridsdorf bei Wien und
österreichischer Reichsratsabgeordneter [9],
bezichtigte Rohling darin des wiederholten Meineids. Doch Rohling zögerte
mit einer Reaktion. Da setzte Bloch mit weiteren 4 Artikeln in der
"Morgenpost" (1. bis 4. Juli 1883) unter dem Titel Das Angebot des Meineids
nach und forderte Rohling noch einmal heraus. Auszüge:
" ... so erbietet er sich dem Gerichte in Nyiregyhaza zur
eidlichen Aussage, daß die Juden zu ihrer Gottesverehrung Christenblut
nöthig haben. Dieser Herr weiß das ganz genau, denn er ist o. ö. Professor
der hebräischen Alterthümer zu Prag! Wohl ist er nicht in der Lage, eine
einzige Zeile hebräisch korrekt zu lesen, für seine verläumderische Anklage
auch nur den Schatten eines Beweises vorzubringen; allein er besitzt - einen
Eid, der sich bereits des öfteren als felsenstark erwiesen hat, so stark,
daß er Mauern brechen und vermittelst welchem er auch Alles vor Gericht
beweisen kann, Alles was ihm einfällt und beliebt."
"Gegen diese stets drohende Gefahr eines Meineides auf
Verlangen müssen wir uns schützen."
"Ich fühle mich deswegen durch mein Gewissen genöthigt,
neuerdings gegen den genannten Herrn wegen seiner angebotenen
zeugeneidlichen Aussage öffentlich die Anklage des angebotenen Meineides zu
erheben und bin bereit, diese schwere Anklage vor jedem Forum zu begründen."
"Da er dennoch für all seine horrenden Lügen keinen anderen
Wahrheitsbeweis übrig hat, als - den viel mißbrauchten Eid und da er gar
diesen Eidschwur anbietet, um zeugeneidlich eine plumpe Erdichtung
verbündeter Unwissenheit und Böswilligkeit zu erhärten, so muß er sich
gefallen lassen, daß man öffentlich gegen ihn die Anklage des angebotenen
Meineides erhebt."
"Und nicht allein das, auf Verlangen wird dieser Herr
beeiden, daß die Juden von Religionswegen - Diebe sind und die Christen
bestehlen dürfen, nicht blos, sondern sogar es müssen! Auf Verlangen wird er
beschwören, daß die Juden von Religionswegen gegen Christen allerlei Betrug
verüben. Auf Verlangen wird er beeiden, daß der Meineid den Juden keine
Sünde ist und die Ableistung eines falschen Eides gegenüber den Christen
nach ihren Religionsgesetzen eine gottgefällige Handlung sei. Das ist bei
Leibe keine Ironie, auch keine Uebertreibung, sondern schauderhafte nackte
Wahrheit, dieser Herr hat alles das nicht blos beeiden wollen, sondern auch
bereits thatsächlich beeidet - auf Verlangen."
"Seine erlogenen talmudischen Citate hat er bereits
wiederholt feierlich beeidet."
"Ein k. k. Professor mit wiederholten falschen
Eidesleistungen ist ein Unicum selbst in der bunten wechselreichen
Geschichte österreichischer Universitäten."[10]
Wie erhofft, musste Rohling reagieren und überreichte am 10.
August 1883 bei dem k. k. Landesgericht Wien z. Z. 29028 Anklage gegen Bloch
wegen Beleidigung. Damit eröffnete sich eine historische Möglichkeit,
Talmud-Fälschungen und die damit einhergehende 'aufreizende Rede' gegen
Staatsbürger endlich gerichtlich nachweisen und verfolgen zu können. Bis
dahin waren öffentliche Ankläger in Österreich meist zurückgeschreckt, die
Richtigkeit von 'Zitaten' zu überprüfen. Man beurteilte lediglich die
'Strafbarkeit aufreizender Reden' und landete damit zumeist bei Freisprüchen
durch die Geschworenen. In einigen Fällen vor deutschen Gerichten wurden
zwar Sachverständige mündlich bestellt, die aber die Geschworenen
verwirrten. In anderen Fällen wurden beiden Parteien Sachverständige
zugestanden, die sich dann in Disputationen vor Gericht neutralisierten.
Bloch erreichte nun einen Prozess, der beim Schwurgericht des k. k.
Landesgerichts Wien mit ausgiebigerer Vorbereitung geführt werden sollte.
Blochs Verteidiger war Dr. Josef Kopp, Hof- und
Gerichtsadvokat und Abgeordneter des niederösterreichischen Landtags und des
österreichischen Reichsrats. In seinem 1886 in Leipzig erschienenen Werk Zur
Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch [11]
berichtet Kopp nicht nur eingehend über die Prozessgeschichte, sondern fasst
– Punkt für Punkt – insbesondere die Gutachten der beiden – christlichen –
Gutachter zusammen, des Straßburger Orientalisten Theodor Nöldecke und des
Dresdner protestantischen Theologen August Wünsche, die schließlich vom
Gericht akzeptiert wurden.
Zuvor hatten durchweg alle angefragten Fakultäten und
Fachleute Rohlings Machenschaften verurteilt. Stellungnahmen kamen von den
theologischen Fakultäten der Universitäten in Amsterdam, Leiden, Utrecht und
Kopenhagen, vom katholischen Bischof Kopp von Fulda, vom altkatholischen
Bischof Reinkens, von den Professoren D. A. Dillmann, Dr. Ebers in Leipzig
(der Rohling eines "schweren, fluchwürdigen Verbrechens" zieh), von Dr.
Fleischer in Leipzig, Dr. Kalkar in Kopenhagen, (sogar) von Paul de Lagarde
in Göttingen, von Dr. Friedrich Müller in Wien, Dr. Riehm in Halle
("häßliche Ausgeburt des Fanatismus und der Unwissenheit"), von Dr. Sommer
in Königsberg, Dr. Stade in Gießen, Dr. Strack in Berlin ("seltene
Vereinigung von Unwissenheit, verblendetem Haß und Böswilligkeit"), von D.
Merx in Heidelberg ("unqualifizirbar dumm und schamlos"), Dr. Siegfried in
Jena ("Cloake von Lüge und Gemeinheit" – Rohling kenne "keine Gesetze der
Sitte und der Sittlichkeit", ein "notorischer Ignorant"), von Dr. Baumgarten
in Straßburg und von Dr. Köhler in Erlangen ("Unredlichkeit und blinder
Fanatismus"). Auf Anregung des anwesenden Prof. Dr. Schlottmann erklärte
sich der gesamte, soeben in Leiden tagende, sechste internationale
Orientalisten-Kongress gegen Rohling. [12] Dr. G.
Bickell, Professor der katholisch-theologischen Fakultät an der Universität
Innsbruck, bat das Wiener Landgericht, von seiner Berufung als Gutachter
abzusehen. Er sei "seit 20 Jahren" mit Rohling befreundet und müsse sonst
gegen ihn, gegen den "Schwindel gelehrter Industrieritter" aussagen.[13]
Und doch – jüdische Quellen, wie Kroner's Widerlegungen aus
dem Jahr 1871, mussten beim Prozess ganz außen vor bleiben. Kopp begründet
dies so:
"Die Situation zwang ihn [Dr. Bloch], wenn er auf der
Geschwornenbank und im großen Publikum Glauben finden wollte, die Bestellung
christlicher Sachverständiger geradewegs zu verlangen, und zwar in einer
Zeit, da die antisemitischen Wogen so hoch gehen, daß sie bekanntlich auch
vor der Schwelle mancher Gelehrtenstube nicht zurückweichen."[14]
Freilich wurde im Gegenzug Rohlings Wunsch, ausgerechnet
"Dr. Brimanus und den Dr. Ecker in Münster" als Gutachter zu bestimmen, vom
Gericht ebenfalls nicht entsprochen: "Brimanus" wurde stattdessen in anderer
Sache "wegen Betrug in Untersuchungshaft genommen und von demselben k. k.
Landesgerichte, dem er zur Bestellung als Sachverständiger vorgeschlagen
wurde, wegen Urkundenfälschung zu mehrmonatlicher Kerkerstrafe und
Landesverweisung verurtheilt."[15]
Kopp erwirkte für die Verteidigung beim Gericht eine
Vorbereitungszeit von 1 ½ Jahren. Für die Gutachter wählte der Jurist über
300 Textpassagen zur Übersetzung aus dem Hebräischen und zur Kommentierung
aus.
"Diese Masse von Texten, die gedruckt 80 Foliospalten
füllten, wurden nun von mir nach Gruppen, die sich nach der Natur der Sache
ergaben, systematisch geordnet und noch spezielle Fragen eingefügt. Die
betreffende Eingabe an das Landesgericht füllte 42 gedruckte Foliospalten.
Das Landesgericht übermittelte das Ganze Ende Jänner 1885 den
Sachverständigen, und stellte dem Hrn. Rohling zu Handen seines Vertreters
frei, seinerseits ergänzende und Zusatzfragen zu stellen. Rohling machte von
diesem Rechte keinen Gebrauch. Ende Juni 1885 langte das 190 Bogen starke
Gutachten an, welches über mein Ansuchen noch durch einen kleinen Nachtrag
ergänzt wurde."[16]
Die Vorbereitungen waren damit – nach nahezu zwei Jahren –
beendet. Der Prozess wurde auf den 18. November 1885 bestimmt. 13
Sitzungstage waren anberaumt – da zog Prof. Dr. August Rohling seine Anklage
im letzten Moment zurück. Kopp konnte nur noch kommentieren:
"So gering auch die Bedeutung einer Druckschrift ist
gegenüber der Wirkung einer öffentlichen mit allen Garantien des
Rechtsschutzes für Kläger und Geklagten durchgeführten Verhandlung, will ich
doch das aufgesammelte Materiale nicht ganz verloren gehen lassen. Die
vollständige Verwerthung desselben würde ein Werk von etwa zwei Bänden
erfordern, dazu fehlt einem Manne, der nur die von der Berufsarbeit
erübrigenden, der Erholung abgesparten Stunden verwenden kann, die Zeit, und
für eine solche Arbeit würde sich auch nur ein ganz kleines Lesepublikum
finden, ich werde daher im Folgenden nur einen kurzen Auszug der
markantesten Punkte bringen."[17]
Kopp hat mit seinem Werk Zur Judenfrage nach den Akten des
Prozesses Rohling-Bloch dennoch eine unvergleichliche Quelle geschaffen.
Angesichts der bis heute reichenden, rechtsextremistischen Agitation ist sie
– wie Kroner's Werk aus dem Jahr 1871 – nicht nur von historischem, sondern
von aktuellem juristischen Interesse für Anwälte und Staatsanwaltschaften.
Rabbiner Joseph Samuel Bloch selbst gab schließlich im Jahr 1890 die
vollständige Dokumentation der Acten und Gutachten in dem Prozesse Rohling
contra Bloch heraus (Wien: M. Breitenstein) und beschrieb in Erinnerungen
aus meinem Leben (Wien 1922, 3 Bd.) weitere Details.
August Rohlings Der Talmudjude konnte durch die fehlende
Insistenz der österreichischen und deutschen Staatsanwaltschaften über
weitere Jahrzehnte hinweg ungehindert neu aufgelegt werden und nahm
schließlich den Weg in die NS-Propaganda. Rohling selbst (er starb 1931)
versuchte, den Marktwert seines Werks durch Übersetzungen in andere Sprachen
und pompöse Rückübersetzungen ins Deutsche zu erhöhen. So ließ er noch 1889
eine französische Übersetzung edieren und gewann dazu Édouard Drumont, der
das Vorwort schrieb und weiteres 'Material' beisteuerte.[18]
Unmittelbar darauf wurde Prof. Dr. Aug. Rohling's Talmud-Jude der deutschen
Leserschaft mit dem Zusatz neu angeboten: "Mit einem Vorwort von Eduard
Drumont aus der auch anderweitig vermehrten französischen Ausgabe von A.
Pontigny, in das Deutsche zurückübertragen von Carl Paasch".[19]
Die Quelle, aus der Rohling hauptsächlich abgeschrieben
hatte, Roger Gougenot des Mousseaux' Le juif, le judaïsme et la judaisation
des peuples chrétiens aus dem Jahr 1869, machte ebenfalls Karriere: Alfred
Rosenberg übersetzte das Werk im Jahr 1921 unter dem Titel Der Jude, das
Judentum und die Verjudung der christlichen Völker.
David I. Kertzer (Die Päpste und die Juden. Der Vatikan und
die Entstehung des modernen Antisemitismus, dt. bei Propyläen, München 2001)
bezeichnet Des Mousseaux' Buch als "die erste bedeutende Schrift über den
Ritualmord seit der Damaszener Affäre" (1840). Papst Pius IX gab dem Werk
"seinen Segen" und verlieh Des Mousseaux "sogar einen hohen päpstlichen
Orden. [...] Beides wurde in späteren Auflagen erwähnt, und auch in anderen
Werken [Albert Monniot: Le crime rituel chez les juifs (Paris 1914)] hob man
dies hervor, um dem Vorwurf, dass Juden in Ausübung ihrer Religion
Christenkinder ermordeten, mit dem Rückhalt päpstlicher Autorität zu
versehen."
Als elektronische Volltexte (pdf-Dateien) sind im
DISS-Archiv vorläufig verfügbar:
Emanuel Deutsch [Bibliothekar
am Britischen Museum in London, Mitglied der Deutschen Morgenländischen
Gesellschaft, der K. Asiatischen Gesellschaft u.s.w.],
Der Talmud. Aus der siebenten englischen Auflage ins Deutsche übertragen.
Autorisirte Ausgabe. Zweite Auflage. (Ferd. Dümmler's
Verlagsbuchhandlung (Harrwitz und Großmann)) Berlin 1869. [61
Druckseiten – 124 500 Zeichen]
Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem "Talmudjuden" Professor Dr.
August Rohling's. Nachgewiesen vom Rabbiner Dr. [I.] Kroner,
Seminar-Director. [I. Theil] (E. Obertüschen) Münster 1871
[51 Druckseiten – 58 400 Zeichen]
Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem "Talmudjuden" Professor Dr.
August Rohling's. Nachgewiesen vom Rabbiner Dr. [I.] Kroner,
Seminar-Director. [II. Theil] (E. Obertüschen) Münster 1871
[70 Druckseiten - 93 000 Zeichen]
[Dr.] Josef Kopp
[Hof- und Gerichtsadvokat,
Abgeordneter des n.ö. Landtags und des österr. Reichsraths],
Zur Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch (Verlag von
Julius Klinkhardt) Leipzig 1886. [196 Druckseiten – 419 000 Zeichen]
Anmerkungen:
[1] Ismar, Schorsch, Jewish Reactions to German
Anti-Semitism, 1870-1914. New York and London (Columbia University Press)
1972, S. 109
[2] Johann Andreä Eisenmengers Entdecktes Judenthum oder
Gründlicher und wahrhaffter Bericht, welchergestalt die verstockte Juden die
hochheilige Drey-Einigkeit, Gott Vater, Sohn und Heil. Geist erschrecklicher
Weise lästern und verunehren, die Heil. Mutter Christi verschmähen, das Neue
Testament, die Evangelisten und Aposteln, die Christliche Religion spöttisch
durchziehen, und die gantze Christenheit auff das äusserste verachten und
verfluchen: dabei noch viel andere, bißhero unter den Christen entweder gar
nicht oder nur zum Theil bekant gewesene Dinge ... ; alles aus ihren eigenen
und zwar sehr vielen mit grosser Mühe und unverdrossenem Fleiß durchlesenen
Büchern mit Ausziehung der hebräischen Worte und derer treuen Ubersetzung in
die Teutsche Sprach kräfftiglich erwiesen und in zweyen Theilen verfasset,
deren jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie außführlich
handelnde Capitel enthält; allen Christen zur treuhertzigen Nachricht
verfertiget und mit vollkommenen Registern versehen. - Königsberg, [1711]
[3] Kroner 1871, I. S. 46/47.
[4] Heinrich Rickert 1893 im preußischen Abgeordnetenhaus.
Vgl. Der Religionsunterricht im Abgeordnetenhause. In: Allgemeine Zeitung
des Judenthums 57(1893)Nr.7 vom 17. Februar 1893, S. 75-77
[5] Kopp 1886, S. 22 (s. Anm. 11)
[6] Kopp 1886, S. 9 (s. Anm. 11)
[7] Kopp 1886, S. 15 (s. Anm. 11)
[8] Kopp 1886, S. 16 (s. Anm. 11)
[9] Vgl. Joseph Samuel Bloch, Gegen die Anti-Semiten: eine
Streitschrift. Wien: Löwy, 1882, 39 S.
[10] Kopp 1886, S. 17/18 (s. Anm. 11)
[11] Josef Kopp, Zur Judenfrage nach den Akten des
Prozesses Rohling-Bloch (Klinkhardt) Leipzig 1886.
[12] Kopp 1886, S. 183/4
[13] Kopp 1886, S. 26
[14] Kopp 1886, S. 22.
[15] Kopp 1886, S. 25
[16] Kopp 1886, S. 27.
[17] Kopp 1886, S. 29.
[18] August Rohling, Le juif selon le Talmud; édition
française considérablement augmentée par A. Pontigny; préface d'Édouard
Drumont (Albert Savine) Paris 1889
[19] Deutschnationale Buchh. u. Verl.-Anst., Berlin 1890.