[Das
Wesen des Antisemitismus]
Von Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi (1859,
Wien - 1906, Poběžovice)
Zweites Kapitel:
Antijudaismus im Altertum
pp 142 in der 1.Auflage von R.N. Coudenhove-Kalergis
1935 herausgegebenem Buch "Judenhass - Antisemitismus".
6. Untergang des Judenstaates
Im Jahre 66 brach die große ewig denkwürdige
Revolution aus; natürlich war die Veranlassung wieder eine religiöse. Es
hatte nämlich der Prokurator Florus dem Tempelschatz 17 Talente
entnommen. Es entstand ein großer Tumult wegen dieses Sakrilegiums, und
um den Prokurator zu verhöhnen, sammelten einige Juden in kleinen
Körbchen öffentlich milde Gaben für den armen Florus.
Kurze Zeit darauf wurde auf Betreiben des Sohnes des
Hohepriester Ananias das tägliche Tempelopfer für den Kaiser
eingestellt, wodurch also der offene Abfall von den Römern erklärt war.
Das Ende ist bekannt. Jerusalem wurde belagert, der Tempel verbrannt,
obwohl T i t u s alles getan haben soll, das herrliche
Gebäude zu retten. Es ist sehr bemerkenswert, dass Titus eine Versöhnung
herbeiführen wollte, und zwar aus Liebe zu seiner jüdischen Geliebten
Berenice. Titus wurde erst grausam, als er sah, dass die Juden jedwede
friedlichen Verhandlungen abwiesen. Er liess täglich 500 Juden im
Angesichte der Stadt unter raffinierten Martern kreuzigen, was die Wut
der Belagerten nur steigerte. Die Hungersnot, die Verzweiflung, der
Wahnsinn wüteten in Jerusalem, das fortan einem Käfig wilder Tiere
glich. Hätten sich dieselben rechtzeitig ergeben, so wäre unendliches
Weh dem Volke erspart geblieben; doch diese Fanatiker wollten von einem
Nachgeben nichts wissen, da sie den Tempel für unzerstörbar hielten. Die
Mehrzahl glaubte, die Stadt befinde sich unter einem speziellen Schütze
Gottes und es sei daher unmöglich, sie einzunehmen. Närrische Propheten
liefen umher und verkündeten ein unmittelbar bevorstehendes rettendes
Wunder. Das Gottvertrauen der Belagerten war so felsenfest, dass viele,
denen die Flucht möglich gewesen wäre, bloß deswegen blieben, um das
rettende Wunder Gottes zu schauen.
Es war am 8. August 70, als es den Römern gelang,
Feuer an den Toren des Tempels zu legen. Als die Juden die Flammen
sahen, konnten sie anfangs ihren Augen nicht trauen, denn in ihrer
Verblendung hatten sie geglaubt, der Tempel sei gegen alles gefeit. Ein
furchtbares Wutgeschrei, ein Strom wilder Flüche durchhallte die Lüfte,
als die Flammen zu züngeln anfingen. Am 10. August fand ein neuer Kampf
statt. Eine Truppenabteilung war zurückgelassen worden, um zu verhüten,
dass neuerdings Feuer gelegt werde, das noch glimmende Feuer zu
überwachen und das Weiterverbreiten zu hindern. Auf diese Abteilung
stürzten sich die Juden und es entstand wieder ein fürchterlicher Kampf.
Die Juden flohen gegen den Tempelhof, die Römer ihnen nach. Die Wut der
römischen Soldaten hatte ebenfalls den Siedepunkt erreicht; einer von
ihnen ergriff eine Fackel, ließ sich von einem seiner Kameraden in die
Höhe heben und warf dieselbe durch ein Fenster in den Tempel hinein.
Flammen und Rauch wurden sichtbar. In diesem Augenblick schlief Titus
unter seinem Zelt, als man ihm die Nachricht brachte, der Tempel brenne.
Da entstand, nach dem Berichte Josephus', ein förmlicher Kampf zwischen
Titus und seinen Soldaten. Titus befiehlt durch Stimme und Gebärde, das
Feuer augenblicklich zu löschen, aber bei diesem Tumulte hörte ihn
niemand mehr. Er wird mitgerissen durch den Strom seiner Soldaten, die
in den Tempel hineindringen. Noch hatten die Flammen das Allerheiligste
nicht erreicht und Titus konnte dasselbe noch mit eigenen Augen sehen.
Er befiehlt, das Innere zu räumen und dem Centurio Liberalis, einen
jeden niederzumachen der sich seinem Befehl widersetzen würde.
Tumultuarisch verlassen die römischen Soldaten den Tempel. Zu spät! Ein
römischer Soldat hatte bereits das Innere angezündet; von allen Seiten
lodern Flammen empor, in diesem Rauch konnte niemand mehr standhalten.
Titus zog sich zurück. Jerusalem und der heilige Tempel waren bald nur
mehr rauchende Trümmer!...
Die römischen Soldaten metzelten alles nieder, was in ihre Hände fiel.
Im Jahre 71 feierte Titus seinen berühmten Triumph in Rom. Hinter dem
Wagen des Triumphators wurden die Rollen der Thora getragen, "der großen
Schuldigen" am ganzen Unheil, wie Renan sich ausdrückt. Sie allein hatte
die Juden zu dem gemacht, was sie geworden waren; sie allein eine Mauer
errichtet, die Israel von allen anderen Völkern trennte, sie allein die
Abneigung der Griechen und Römer gegen die Juden verschuldet, sie allein
die Juden aufgestachelt, der toleranten Regierung, den unbeschnittenen
Heiden bei jeder Gelegenheit Prügel vor die Füße zu werfen. Die
Unabhängigkeit der jüdischen Nation war bald dahin. Jerusalem wurde dem
Erdboden gleichgemacht, ein bedeutender Teil der Bevölkerung
niedergemetzelt und in die Sklaverei geführt.
Unter T r a j a n versuchten die Juden nochmals mehrere Aufstände; der
größte jedoch fand unter Hadrian in den Jahren 132 bis 135 statt. Die
Veranlassung war natürlich wiederum eine religiöse. Hadrian hatte an
Stelle des zerstörten Jerusalems eine neue Stadt erbauen lassen, die
Aelia Capitolina hieß, und befohlen, dass an der Stelle, wo der jüdische
Tempel gestanden, ein heidnischer Tempel des Jupiter errichtet werde.
Auch soll er ein Verbot der Beschneidung erlassen haben. Der Führer des
furchtbaren Aufstandes, der infolge der tiefsten Verletzung des
religiösen Gefühles der Juden nun ausbrach, hieß Bar Kochba. Derselbe
gab sich für den erwarteten Messias aus. Da die Christen ihn als solchen
nicht anerkennen wollten, wütete er auf das grausamste gegen dieselben.
Der Aufstand wurde von den Römern unterdrückt, wobei ganz Judäa zur
Wüste gemacht, 50 Festungen, 985 Dörfer zerstört wurden und über eine
halbe Million Juden gefallen sein soll. Ein großer Teil der Bevölkerung
wurde als Sklaven verkauft. Jerusalem wurde nun in eine römische Kolonie
unter dem Namen Aelia Capitolina verwandelt, sämtliche Juden vertrieben
und heidnische Kolonisten angesiedelt. Am südlichen Stadttor wurde das
Bild eines Schweines angebracht, an der Stelle, wo der jüdische Tempel
gestanden, ein Tempel Jupiters errichtet, in welchem eine Statue
Hadrians gestanden haben soll; an der Stelle, wo das Grab Christi
gewesen, wurde ein Tempel der Venus errichtet. Jerusalem war eine
heidnische Stadt geworden. Zur Zeit der Regierung Antoninus Pius
versuchten die Juden wieder einen Aufstand infolge des noch bestehenden
Verbotes der Beschneidung. Die Römer hatten nur die Wahl, diesen
religiösen Brauch entweder zu gestatten, oder das ganze Volk zu
vernichten. Sie wählten klugerweise das erstere, indem sie die Ausübung
desselben wieder erlaubten.
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