[Judenhass von heute]
I. Kapitel: Antisemitismus nach dem Weltkrieg
Auszüge aus dem 1935 im Paneuropa-Verlag in Wien und Zürich
erschienenen Buch von
R.N. Coudenhove-Kalergi. Wenn hier vom
Weltkrieg die Rede ist, ist also der I. Weltkrieg gemeint.
4. Teil:
Die Verarmung Mitteleuropas
Die Verarmung Mitteleuropas durch Krieg und Inflation
gab dem Antisemitismus neue und starke Impulse.
Denn in diesen übervölkerten Gebieten ist der Neid
eine Großmacht; eine der stärksten Quellen politischen und privaten
Hasses. Dieser Neid wächst mit der allgemeinen Verarmung und der
Bereicherung weniger. Wer Geld verliert, während ein anderer Geld
gewinnt, glaubt, dass es sein Geld ist, das ihm der andere nimmt. Aus
diesem Grunde richtete sich der Hass der Massen in viel stärkerem Masse
gegen Kriegs- und Inflationsgewinner als gegen ererbten Reichtum. Aber
auch dieser war mehr denn je dem Neid ausgesetzt und dem Hass: in
manchen Staaten Mitteleuropas, in denen der Grundadel noch sehr reich
war, richtete sich in der Nachkriegszeit der Hass gegen ihn, weil er am
stärksten den Neid herausgefordert hatte. Die Enteignung der
Großgrundbesitzer und die Abschaffung ihrer Adelstitel war zum Teil der
Niederschlag jener Volksstimmung.
Zunächst schuf dieser allgemeine Neid der vielen
Armen und Verarmten gegen die wenigen Reichen und Neureichen nach dem
Krieg die sozialistisch-kommunistische Welle. Bald aber erkannten die
Führer der Rechten, gegen die sich diese Welle richtete, dass für sie
die Möglichkeit bestand, diesem Volkszorn die entgegen gesetzte Richtung
zu geben; so leiteten sie den allgemeinen Hass und Neid gegen die
Reichen in einen besonderen Hass und Neid um gegen die reichen Juden.
So wurde der Neid gegen die reichen Juden zu einer der
stärksten Komponenten des Nachkriegsantisemitismus.
Die relativ große Zahl der jüdischen Neureichen, der
Kriegs- und Inflationsgewinner, erleichterte dieses Ablenkungsmanöver.
So wurde der Antisemitismus zum Blitzableiter, der den sozialistischen
Blitz vom kapitalistischen Dach der mitteleuropäischen Gesellschaft
ableiten sollte. Nationalismus und Antisemitismus wurden planmäßig als
Gegengifte gegen Sozialismus und Bolschewismus verwendet. Mit ihrer
Hilfe wurde der bolschewistische Ansturm abgewehrt.
Manche Tatsachen kamen dieser antisemitischen
Agitation entgegen. Viele Juden hatten es während des Krieges und der
Inflation rasch zu Reichtum gebracht. Der Zwang der Jahrhunderte, sich
mit Geldgeschäften zu befassen, hatte die finanzielle Begabung des
Judentums besonders ausgebildet. Diese Begabung kam vielen Juden zugute,
als durch die Inflation die Fragen des Geldwertes allen denjenigen zum
Mysterium wurden, die es nicht rechtzeitig gelernt hatten, durch die
Banknote hindurch die "Geheimlehren" der Finanzwissenschaft zu
beherrschen. So wuchs die Bedeutung der Banken, die in Mitteleuropa zum
größten Teil von Juden geleitet waren. Die Spekulation nahm überhand.
Viele Spekulanten wurden reich. Viele verarmten wieder. Aber davon nahm
die Öffentlichkeit keine Notiz. Neben den Banken wurden die Warenhäuser
zu Zielscheiben des wirtschaftlichen Antisemitismus. Auch sie befanden
sich vielfach in jüdischen Händen. Sie zogen auf sich den Hass und Neid
aller kleinen Kaufleute, Krämer und Händler, die sie durch
Rationalisierung und Eindämmung des Zwischenhandels unterboten und
vielfach ruinierten.
Die nationalistische Presse, größtenteils in Händen
der nichtjüdischen Industrie, lenkte den Volkshass gerne von den
Kapitalisten im allgemeinen auf die jüdischen Banken und Warenhäuser ab,
auf diese verhassten Zitadellen jüdischen Reichtums. Sie verschwiegen
ihren Lesern, dass Banken und Warenhäuser notwendige Bestandteile eines
vorgeschrittenen Kapitalismus sind, dass daher der Kampf gegen sie
entweder ein inhaltsloses Ablenkungsmanöver ist oder aber zum
Bolschewismus führt.
Der Hass gegen die reichen Juden wurde vielfach durch
deren Auftreten gesteigert. Viele dieser Neureichen verfielen in den
Fehler der Parvenüs aller Rassen und Zeiten, ihren neugewonnenen
Reichtum geschmacklos zur Schau zu stellen. Dies wirkte in Kriegs- und
Inflationszeiten angesichts des Massenelends doppelt aufreizend und
führte nicht nur zu einer elementaren Steigerung des Antisemitismus,
sondern zugleich zu einer phantastischen Überschätzung des jüdischen
Reichtums im Verhältnis zum nichtjüdischen.
Denn in Wahrheit hat der W e l t k r i e g
den Gesamtreichtum der Juden nicht vermehrt, sondern stark vermindert.
Das Elend der Ostjuden ist durch den Bolschewismus, durch den Weltkrieg
und den russisch-polnischen Krieg mit den anschließenden Pogromen
angewachsen. Die Hauptgewinne des Krieges fielen der Rüstungsindustrie
und der Landwirtschaft zu — zwei Wirtschaftszweigen, von denen die Juden
nahezu ausgeschlossen waren.
Ebenso hat die I n f l a t i o n nur eine
ganz kleine Zahl von jüdischen Spekulanten bereichert, während das Gros
der Juden, das weder Landbesitz noch Sachwerte besaß, um seine letzten
Geldwerte gebracht wurde.
Die neuesten Statistiken über den Reichtum der Juden
lauten eher ungünstiger als die Statistiken der Vorkriegszeit. Das Haus
Rothschild, das durch ein Jahrhundert eine dominierende Stellung in der
europäischen Finanzwelt eingenommen und wesentlich zur Überschätzung des
jüdischen Reichtums geführt hatte, verlor in der Nachkriegszeit nicht
nur einen großen Teil seines Vermögens, sondern auch den damit
verbundenen Einfluss.
Das einzige Bankhaus, das heute eine Weltmacht
darstellt, J.-P. Morgan, ist in nichtjüdischen Händen. Die größten
amerikanisches Vermögen, wie das Rockefellers, Fords, Mellons,
Vanderbilts, Astors gehören gleichfalls
Nicht-Juden.
Mit ganz geringen Ausnahmen waren die führenden
Industriellen Deutschlands in der Nachkriegszeit Nicht-Juden; vor allem
ihr hervorragendster Vertreter Hugo Stinnes. Wäre Stinnes Jude gewesen,
so hätten alle Antisemiten der Welt diesen Umstand missbraucht, um den
Juden die Schuld an der Kriegsverlängerung und Inflation zuzuschieben.
Wäre Ivar Kreuger Jude gewesen, so hätten alle Antisemiten nach seinem
Sturz erklärt: "So sind die Juden!" Nachdem er aber kein Jude war,
sondern ein Schwede, fällt es niemandem ein, die schwedische Nation für
den Fall Kreuger verantwortlich zu machen. Wäre aber Morgan Jude, so
würde heute zweifellos eine ganze Literatur bestehen, die den Nachweis
versuchen würde, dass sein Bankhaus der Mittelpunkt der jüdischen
Weltverschwörung und Weltherrschaftspläne sei.
Aber alle diese Tatsachen helfen nichts. Der bloße
Umstand, dass es zahlreiche jüdische Kapitalisten gibt, wird ebenso dazu
missbraucht, Judentum und Kapitalismus zu identifizieren, wie der
Umstand, dass es einige Juden unter den führenden Kommunisten gibt,
genügt, um Judentum und Kommunismus zu identifizieren.
So geschah das Paradoxe, dass der Antisemitismus
gleichzeitig als Waffe gegen den Kapitalismus verwendet wurde und gegen
den Kommunismus. Dieses Resultat widerspricht aller politischen Logik.
Aber hier kam es nicht auf Logik an, sondern auf Politik. Jede
politische Gruppe wollte ihren Gegner treffen. Im Antisemitismus stand
eine Waffe bereit, die sich jederzeit zu allem verwenden ließ. Denn die
Grundstimmung der Massen war, als verschüttetes Erbe christlicher
Jugenderziehung, antisemitisch. Wer an dieses tief eingewurzelte
Vorurteil appellierte, war sicher, es in Verbindung mit dem latenten
Neid als unerreichbaren politischen Sprengstoff verwenden zu können.
Kurz nach Kriegsende legte mir ein Parteiführer in
einem mitteleuropäischen Staate den Entwurf seines neuen
Partei-Programms vor. Um meine Kritik befragt, machte ich ihn auf den
Widerspruch aufmerksam, der zwischen der Forderung nach
Gleichberechtigung aller Konfessionen lag und der anschließenden
Forderung nach Zurückdrängung des jüdischen Einflusses. Darauf
antwortete er: "Ich bin kein Antisemit; im Gegenteil. Aber wenn wir
diesen antisemitischen Paragraphen nicht aufnehmen, dann schnappen uns
die... (hier nannte er den Namen einer Konkurrenzpartei) unsere Wähler
weg."
Das Hauptmotiv des politischen Antisemitismus ist der
Wählerfang mit Hilfe eines zugkräftigen Schlagwortes, eines tief
eingewurzelten Vorurteils. Der Wähler wird umworben, nicht belehrt. Der
Kandidat sucht ihn nicht auf das eigene Niveau zu heben, selbst wenn er
eines besitzt, sondern sinkt lieber auf das geistige Niveau des Wählers,
verbeugt sich vor dessen Vorurteilen und rechtfertigt sie, statt ihnen
entgegenzutreten.
So wird der allgemeine Mangel an moralischem Mut zum
stärksten Vorkämpfer des politischen Antisemitismus.
Der Einbruch der Arbeitslosigkeit in Verbindung mit
der Weltkrise hat wesentlich zum Erfolg des Antisemitismus beigetragen.
Denn die Überfüllung aller Berufe, vor allem der
Intelligenzberufe hat zu einer Verschärfung und Verbitterung des
Existenzkampfes geführt. Solange es für einen stellungsuchenden Arier
und für einen stellungsuchenden Juden zwei offene Stellen gab, in die
sie sich teilen konnten, war ein lauterer Wettbewerb um die bessere
Stellung möglich. Sobald aber für die beiden Stellungsuchenden nur eine
einzige Stellung frei war, setzte zwischen ihnen ein Kampf auf Leben und
Tod, ein Kampf ohne Ritterlichkeit, ein Kampf mit unlauteren Mitteln
ein. Eines dieser Kampfmittel war der Antisemitismus. Der arische
Kandidat suchte seinen jüdischen Konkurrenten mit Hilfe des
Antisemitismus auszuschalten. Misslang ihm dies, so schloss er sich
einer extrem antisemitischen Gruppe an, um durch Gewalt oder Boykott den
jüdischen Rivalen zu verdrängen und dessen Posten zu erobern.
Der verschärfte Daseinskampf als Folge der
Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise führte zum Unterliegen der
Schwächeren, zum Unterliegen der Minoritäten, zum Unterliegen der Juden.
Denn es handelte sich nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um Existenz.
Wie bei einer Panik Kinder und Frauen zuerst zertreten
werden, so werden in der europäischen Wirtschaftspanik in Mitteleuropa
gleichfalls zuerst die Schwächsten zertreten: die Juden.
Wo sie sich dennoch behaupten konnten, mussten sie
eine große Überlegenheit über ihre nichtjüdischen Konkurrenten
nachweisen. Aber auch dies konnte sie vor dem nationalsozialistischen
Antisemitismus nicht retten.
Dieser antisemitische Kampf ums Dasein wird erst
aufhören, wenn die europäische Arbeitslosigkeit ein Ende findet und im
beruflichen Wettkampf wieder die Grundsätze des Fairplay, der freien
Bahn für die Tüchtigsten, siegen. Bis dahin sind alle Minderheiten
bedroht und benachteiligt: vor allem die Juden.
Teil 5.:
Nationalismus und Antisemitismus
Das Anschwellen des europäischen Nationalismus vor,
während und nach dem Weltkrieg trug wesentlich zur Verschärfung des
Antisemitismus bei. Durch den Weltkrieg wurde der Nationalismus zur
herrschenden Geistesrichtung in Europa. Jahre hindurch haben politische
und geistige Führer der europäischen Nationen die Überlegenheit der
eigenen Nation verkündet...
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