Antisemitismus.Net

Make payments with PayPal - it's fast, free and secure!

We find this information important and want to present it free of charge, open to the public.

If you find it useful, you can help its development with your donation.

 

Theorie
Historischer Rückblick
Holocaust
Antisemitismus nach 1945
Vergangenheitsdiskurs
 
Audio-Vorträge zum Thema
 
[Aktuelle Meldungen]
[Forum]
 
haGalilon

Es kann immer noch schlimmer werden:
Der Judenhass und die Juden

Brunner nahm die deutschen Nicht-Juden vor der Behauptung der Antisemiten in Schutz, dass ein einziger Jude neunundneunzig Nicht-Juden in der Hand habe. Eine solche Aussage sei doch wohl nicht nur eine eigentümliche Überschätzung der Juden sonder auch eine ungeheuerliche Beleidigung der Nicht-Juden: "Wie sollten 99% sich durch das 1% vergewaltigen und beständig im Zittern erhalten werden — solche Gimpel, Memmen, Kränklinge sind die Deutschen keineswegs und so groß ist ihre "Furcht der Juden" nicht".

von Constantin Brunner, II. Auflage 1919, S. 78ff.:

Es hat andern Anschein, als meinten die nichtantisemitischen Nicht-Juden Deutschlands, an Stelle des Wortes Juden könnte man ebenso gut sagen: Verbrecher und Schurken aller Art. Trotz bestehenden Vorurteilen gelten ihnen die Juden im allgemeinen nicht für schlechter als die übrigen Volksgenossen, auch nicht für schlechter als die Antisemiten; ihre wichtigsten Angelegenheiten, die Sorge für Vermögen, Gesundheit und Leben wie auch die Vertretung der politischen Interessen legen sie in ihre Hände; haben mit ihnen Gemeinschaft, worin kaum mehr Unverständnis und Missverständnis spielt, als sonsthin unter Menschen der Fall zu sein pflegt; der Mischehen, bis in die bekanntesten und angesehensten Familien hinauf werden immer mehr (wodurch auch die Behauptung von einer angeblichen Rassenabneigung physiologischer Natur erschüttert wird), und es bestehen noch zahlreiche andre Verhältnisse in der Atemluft der herzlichsten Liebe. Und ferner: es gibt auch noch Anti-Antisemiten, von denen die Antisemiten als Leute bezeichnet werden, die das unter uns vorhandene Unglück und unsre sozialen Leiden in frevelvollem Spiel für ihren Vorteil auszubeuten suchen; von denen also die Antisemiten für so verderblich wie verdorben gehalten werden (1).

Und ferner gibt es sogar — gegen die Gefäße, die überlaufen von der Ungerechtigkeit der Juden, gibt es auch noch andre, die ihre Gerechtigkeit und Tugend fassen: es gibt sogar Philosemiten, welche den Juden nicht nur als Menschen ihr natürliches Menschenrecht zugestehen, sondern noch obendrein als Juden sie besonders lieben und hochhalten — und schließlich gar, aus entgegengesetzten Gründen, dasselbe von ihnen prophezeien wie ihre Feinde; so sagt z. B. Emile de Laveleye: "Die Rasse der Juden ist meiner Meinung nach die intelligenteste und tatkräftigste unter allen Rassen der Welt, sie wird die Herrin dieser Welt werden und wird es auch verdienen"; und ich kenne zwei (und darf also wohl annehmen, dass solcher mehr sind), von denen allen Ernstes beklagt wird, dass sie keine Juden seien. Und zu allerletzt, mit Respekt zu melden, gibt es noch Juden — die Juden so, wie sie an sich selber wirklich sind.

1) Max Müller nannte sich selber einen Anti-Antisemiten. Ein Judenfeind, sagte Varnhagen von Ense, müsse "einen dunklen Fleck im Herzen oder im Verstande und wohl auch in seinem Leben haben"; man hat auch wohl bereits gefragt: "Ist es ein Zufall, dass von den Führern der Antisemiten Dutzende, selbst von ihren Parteigenossen fallengelassen, in der Dunkelheit, im Gefängnisse oder im Zuchthause nach einiger Zeit verschwanden?" und man hat gesagt: "wenn die Juden in ihrer Mehrzahl von derjenigen sittlichen Beschaffenheit wären, die wir bei fast allen in der Öffentlichkeit hervorgetretenen Antisemiten finden, dann wäre der Antisemitismus berechtigt."
Es fehlt auch nicht an Männern, von denen die Anklagen der Antisemiten schnurstracks umgekehrt werden; so sagt z. B. Gottlieb August Schüler (Die Judenfrage, Marburg 1880): "Das deutsche Volk hat seine große Überzahl im Verhältnis zu den Juden in seiner Mitte, die Macht und die Stellung der Herren zu den Gefangenen, welche ihm Gott gegeben hatte, in charakterlosester, unedelster und unwürdigster Weise missbraucht;" es hätte die Juden zu seinen Unsittlichkeiten und zu seinen eignen Verbrechen verführt, "die heiligsten Bande der Natur, jedes Rechtes, jeder Sitte, jedes Adels, jedes Anstandes, jeder Gewissenspflicht hat es damit zerrissen.
In welch unerhörter Weise hat das deutsche Volk die armen Juden seit Jahrhunderten mit dummem Stolze, vor welchem Paulus die Heidenchristen schon warnt, mit unerhörter Verachtung, mit bittrem Hohne, mit größter Grausamkeit, mit kältestem Hasse misshandelt... Ja, sprechen wir es ungescheut aus: das deutsche Volk hat dem Gaste Israel durch dieses alles tausend und abertausendmal mehr geschadet als die Juden ihm je geschadet haben und schaden."

Wer kennt nun die Juden nach wahrhafter Intimität, — so wie sie tatsächlich sind in ihrem Fühlen, Wissen, Wollen und im innersten Triebwerke ihrer Natur ? Wo finden wir von den inwendig steckenden Juden das Spiegelbild, welches nichts wiedergibt als die wirklichen Juden? Soll man sich an die Antisemiten halten oder an die Philosemiten oder an die Juden selber? Es heißt: Keiner kennt den Andern, und es heißt: Keiner kennt sich selbst.

Nun, am Ende ist nicht das Kennen das Wichtigste, sondern andres. Was aber das Kennen betrifft — immerhin doch auch gewaltig Wichtiges —, so will mir scheinen, dass jedenfalls von den Antisemiten die Juden nicht gekannt werden; das sind keine Richter, die immer gleich Henker sein wollen. Das meiste, was die Antisemiten vorbringen, ist Verleumdung; und vieles, was Andre über die Juden sagen, ist nicht besser als Stummheit, manchesmal schlechter. Ach, die Literatur über die "Judenfrage"! Ich kenne ja nicht alle Bücher, aber leider viele; alle kennen zu lernen geht über die Kraft des gewöhnlichen Sterblichen — die ganze Literatur für und die ganze Literatur gegen die Juden hat vielleicht nur Herkules gelesen. In der Tat, diese beiden Literaturen sind die beiden fürchterlichsten und langweiligsten Riesenwiederkäuer der Welt. Selbstverständlich sind auch Ausnahmen und lobenswerte Bücher zu finden — sogar unter den modernen. Über die modernen Bücher sei noch folgendes bemerkt. Die statistischen und alle die übrigen sozusagen philologischen Bücher sind natürlich in höherem Sinne nicht als Bücher, sondern bestenfalls als Material für Bücherschreiber zu rechnen; Philologen sind keine Schriftsteller, nicht viel mehr als Leinewand- und Pinsellieferanten Maler sind. Aber ebensowenig verdienen den Namen Schriftsteller die Schreiber, welche mit dem Anspruch, mehr als Philologen zu sein, nämlich nicht nur mit Stofflichem, sondern mit Gedanklichem zu kommen, der modernen Vornehmigkeit sich befleißigen und sine ira et studio schreiben (außer wo Eitelkeiten ihrer Mattherzigkeit und Schlafmützigkeit ein Temperamentchen machen).


*) sine ira et studio = Ohne Zorn und ohne Leidenschaft

Solche Schreiber haben sich zwischen die Stühle der Philologie und Schriftstellerei gesetzt, und schon ihr "Sine ira et studio" gibt das sichere Kennzeichen an die Hand, dass ihr Geschriebenes nicht schreibenswert und nichtsnutzig ist; denn alles Gute ist immer wesentlich nec sine ira nec sine studio aus herzgeborenen Gedanken, denen auf Andres ankommt als auf glattgestrichene Objektivität. Und gar nun bei einem Buche, das mit Verkehrtheit und Schändlichkeit sich zu befassen hat, müsste ja, der es schreibt, selber verkehrt und schändlich sein, wenn er so schreibt, als gäbe es keinen Unterschied zwischen Wahrem und Verkehrtem, Schönem und Schändlichem. Da hört "die Objektivität" auf, in dem ganz Wille und Kraft des Guten gewordenen Gewissen — Gewissen ist niemals objektiv und neutral, sonst wäre Gewissen kein Gewissen, fühlte nicht, was es fühlt, wüsste nicht, was es weiß, wollte nicht, was es will, vor allem aber, könnte nicht, was es kann: etwas ausrichten in der Welt! — Urteilen über die Juden ist nicht einfach, keiner auch glaube, sie nach ihrem wirklichen geheimsten Leben erfasst zu haben, wenn er etwa die Mitte nimmt zwischen Philosemitismus und Antisemitismus — ein gelbes Glas vor das eine und ein blaues Glas vor das andere Auge gehalten, macht grüne Gegenstände; und die Wahrheit ist nicht in der Mitte: der Schafskopf ist in der Mitte.

Wir müssen nach links und nach rechts und nach hinten uns umsehen, dürfen nicht das Verhältnis der Juden zur Geschichte außer acht lassen und auch wahrlich nicht vergessen, die in ihnen ruhenden Hilfskräfte in Anschlag zu bringen und vorwärts zu blicken. Es ist auf keinen Fall genug, dass wir ihren jetzigen Zustand betrachten: es gilt, die Stellung und Bedeutung der jüdischen Eigenart unter den übrigen Menschheitsarten und Mentalitäten nach Seiten der Körperlichkeit wie der Geistigkeit zu ergründen und zu formulieren; und, was das allgemeine Urteil über die Juden betrifft, müssen wir endlich sogar auch das Urteil überhaupt und das Allgemeine der menschlichen  N a t u r  in Betracht nehmen. Sogar? Dass ich es nur heraussage: das ist vielleicht das allerwichtigste; es ist mindestens so wichtig, wie das andere, wie die Bestimmung der jüdischen Eigenschaft nach ihrem Verhältnis zu den übrigen Eigenschaften. Fragt man: Warum schreibst du dieses Buch über den Judenhass und die Juden, und was unterscheidet es von den bisherigen Büchern?, so lautet die Antwort: ich komme endlich, nachdem ich lange, lange vergeblich gewartet habe, dass ein anderer kommen und die zwei noch nicht begangenen Wege gehen würde, die denn nun ich gehen werde — wo diese Wege zusammentreffen, und nur dort, haben wir die Erklärung für die Juden sowohl wie für den Judenhass; die Berechtigung dieses Werkes liegt in der Verbindung der richtigen Bestimmung von der jüdischen Eigenheit mit der Betrachtung der allgemeinen menschlichen Beschaffenheit.

Hauptsächlich die gänzliche Vernachlässigung dieser letzterwähnten Betrachtung erklärt uns die Tatsache, dass in der Literatur über unsern Gegenstand, bei so viel überschüssig Überflüssigem, noch kein Grundbuch zu finden, welches das Wort zur Sache spricht, und, höhere Forderungen befriedigend, auch den Denkenden einen Standpunkt gewinnen macht. Wir begeben uns, was das allgemeine Urteil über die Juden anlangt, jeder Möglichkeit des Begreifens, wenn wir nicht auch den Zustand der menschlichen Seelenbeschaffenheit und im besonderen das Urteil ansehen: welch eine Bewandtnis es eigentlich mit der Fähigkeit auf sich hat, die wir Urteil nennen, wieweit sie überhaupt zum Urteilen und Verstehen geeignet ist, und wie jegliches Nichtverstehen nicht etwa nur ein Nichtverstehen, sondern sogleich auch ein Missverstehen ist.

Gar auf die Antisemiten ist, wie gesagt, hier nicht viel zu geben; denen der Hass zu sehr das Urteil erleichtert. Die Juden sollen von ewig her nur der niedrigsten Gedanken und des schändlichsten Lebens fähig gewesen sein ? — Andre urteilen entgegengesetzt über sie; so zum Beispiel Hegel, bei dem sie das Volk des Geistes heißen, Ibsen nennt sie den Adel der Menschheit und (der von mir nicht gern zitierte) Nietzsche, der "die Maxime" geprägt hat: "Mit keinem Menschen umgehen, der an dem verlogenen Rassenschwindel Anteil hat", bezeichnet sie als das ethische Genie unter den Völkern. Urteil so oder so, ob man sie hasst oder liebt— Hassen macht so wenig klüger als Lieben —: Tatsache ist jedenfalls, dass die Völker diejenigen Gedanken, welche von ihnen selber als die höchsten und erhabensten bezeichnet wurden und werden, bei den Juden sich geholt haben, und der erlauchteste Name, den die Menschheit zu nennen weiß, ist der eines Juden. Leroy Beaulieu schreibt: "Um uns die Unfähigkeit des Semiten für den Idealismus zu beweisen, führt man uns den Chaldäer, den Phönizier, den Karthager, den Araber an: was soll all diese Völkerkunde, da doch seit zweitausend Jahren unsre Seelen von dem Ideale leben, das uns die Kinder Judas gebracht ?" In bezug auf diese Tatsache übrigens stimmt keineswegs alles, nicht allein nicht bei denAntisemiten: auch nicht im allgemeinen Urteil der Welt; auch nicht bei den Juden.

Das geschichtliche Denken, die ganze Weltgesinnung ist hier ins Schiefe und Verwirrte, in Verdrehung und Widerspruch zu sich selbst geraten; worauf mit gebührendem Nachdruck hingezeigt werden soll. Aber die Tatsache stimmt, man kommt über sie nicht hinweg, am wenigsten mit Hass und Verachtung der Juden; zuletzt muss ihnen dennoch ein bedeutendes Sein und Wirken zugesprochen werden, welches die Antisemiten auch nicht einmal zu begreifen imstande sind, die statt dessen, wie der erste Schreiber gegen den Antisemitismus (1) sich ausdrückt, "den schändlichsten Frevel treiben: solche, welche die Wahrheit zu erforschen sich keine Mühe geben, in Irrtum, Flausen und Lügen zu erhalten".

(1) Gemeint ist Josephus Flavius (Josef Ben Matitjahu) contra Apion. II, 9.

Vom Phantom zur Psychopathologie:
Der Judenhass und die Juden
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel bereits zu diesem Thema gesagt und geschrieben, geforscht und gedacht wurde, und wie resistent sich das Leiden gehalten hat. Gemeint ist der Antisemitismus, der besser als Judenhass bezeichnet werden sollte, wie es C. Brunner sehr überzeugend anmahnt...

Was tun?
Über das Unglück der Antisemiten

Kern dieser Überlegungen ist C. Brunners Frage, wie man an die "Antisemitenfrage" - in Analogie zur vielfach postulierten "Judenfrage" - herangehen soll, oder noch präziser: "Wie und wie weit lässt sich den bejammernswerten Leuten helfen, die an den Juden verrückt geworden sind, und auf welche Art können in Zukunft andre vor dem gleichen Unglückslose bewahrt werden?"...

Constantin Brunner:
Leiden an Deutschlands Unglück
Wie liebe ich mein Deutschland in seiner düstern Schmach und in seiner lichtbeseelten Wundergröße! Ich liebe Deutschland, Deutschland über alles...

dg - hagalil.com November 2007