Erinnerungen an Pierre Durand:
Widerstandskämpfer der ersten Stunde
"Die Umwälzungen am Ende
des 20. Jahrhunderts haben einige Kräfte dazu ermuntert, die Geschichte
einer "Revision" zu unterziehen, oder, genauer gesagt, sie zu verfälschen,
um auch den großen Gedenkstätten der Nazideportation ihren eigentlichen Sinn
zu nehmen. Das läuft darauf hinaus, die Verbrechen des Hitlerregimes zu
banalisieren, um sie in der Verworrenheit eines ebenso abstrakten wie
ahistorischen Totalitarismus zu ersticken."
Pierre Durand:
"Die Résistance der Franzosen in Buchenwald und in Dora"
Von Hans Daniel, junge welt v. 18.5.2002
Fast 20 Jahre, von 1982 bis 2001, stand Pierre Durand
als Präsident dem Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos vor.
Dann wählten ihn die Vertreter der Internationalen Lagergemeinschaften zu
ihrem Ehrenpräsidenten. Das war die Würdigung eines Aufrechten, einer
charismatischen Persönlichkeit, der auch der politische Gegner den Respekt
nicht versagen konnte. Die französische Regierung ehrte den
antifaschistischen Widerstandskämpfer mit militärischen Auszeichnungen und
der Ernennung zum Kommandeur der Ehrenlegion. Am 31. Mai hat die
internationale antifaschistische Bewegung von ihm Abschied genommen. Pierre
Durand ist am 6. Mai nach schwerer Krankheit in Paris gestorben.
Mit 18 Jahren hatte er sich der kommunistischen Résistance
angeschlossen. 20 Jahre war er alt, als ihn die faschistischen
Okkupationsbehörden verhafteten und die SS ihn, wie er später schrieb, "mit
dem Tode als Zugbegleiter und bis zu einhundertzwanzig Mann in einem
Viehwaggon eingepfercht" nach Buchenwald deportierte. Hier hat er "unter
unvorstellbaren Umständen diese Deutschen, die als Häftlinge aus einer
anderen Welt als die anderen - unsere Folterknechte - stammten",
kennengelernt. Über sie spricht er im Vorwort zu dem in der Reihe Bibliothek
des Widerstandes erschienenen Buch "Buchenwald - Ein Konzentrationslager":
"Sie waren deutsche Antifaschisten, an erster Stelle Kommunisten,
Sozialdemokraten, christliche Liberale, kurz diejenigen, die die Ehre ihres
Landes gerettet hatten und uns auf diese Weise ein anderes Gesicht
Deutschlands zeigten. Soweit es möglich war, halfen sie uns, retteten das
Leben vieler von uns und ermöglichten es, einen Gemeinschaftsgeist zwischen
den Opfern gegen ihre Henker zu schaffen und den einzigartigen
Befreiungskampf vorzubereiten." (Pahl-Rugenstein Nachfolger, Bonn, 2000)
An diesem Befreiungskampf hat Pierre Durand in der
internationalen illegalen Lagerleitung mitgewirkt. Seine Freunde übertrugen
ihm nach der Selbstbefreiung des Lagers den ehrenvollen Auftrag, am 19.
April 1945 den Schwur von Buchenwald für die französischen Häftlinge zu
sprechen. Diesen Schwur und die erlebte Solidarität der deutschen
Antifaschisten in den Jahren der KZ-Haft im Herzen, sah er es bis zuletzt
als persönlichen Auftrag, die Erinnerung an den Widerstand und die Opfer des
faschistischen Regimes wachzuhalten. Mit Leidenschaft stellte er sich vor
seine deutschen Kameraden, als die nach der "Wende" als "rote Kapos", als
"rotlackierte Faschisten" diffamiert wurden und mit ihnen der Antifaschismus
ins Zwielicht gerückt wurde.
"Wir sind Zeugen einer Vergangenheit, die wir nicht
vergessen", sagte er im April 1994 auf der Kundgebung zum 49. Jahrestag der
Befreiung auf dem Ettersberg. "Wir vergessen nicht den Rauch, der aus dem
Krematorium kam. Wir haben die Skelette vor Augen, die unter den Augen der
SS, der entfesselten brutalen Menschen, zusammenbrachen." Und im gleichen
Atemzug versicherte er den "deutschen antifaschistischen Brüdern unsere
Solidarität in einem Augenblick, in dem der dumme Haß, die infamen
Verleumdungen der Erben der SS wieder einmal gegen sie aufflammten".
Unvergessen bleibt der 14. Oktober 1994. Die vom Bundestag
eingesetzte "Enquetekommission für die Überwindung der Folgen der
SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit" versuchte mit einem Hearing im
ehemaligen KZ Buchenwald, die faschistischen Konzentrationslager mit den
Internierungslagern auf eine Ebene zu stellen, die nach 1945 auf alliierten
Beschluß für Funktionsträger des Naziregimes eingerichtet worden waren.
Durand sprach für das Internationale Buchenwaldkomitee, abgestimmt mit
Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Nachdrücklich erinnerte
er an den Beschluß des Europäischen Parlaments vom 11. Februar 1993, in dem
jede "willkürliche Vermischung der nazistischen Lager mit deren möglicher
Nutzung nach dem Krieg" abgelehnt wird.
"Wenn es unberechtigte Internierungen gegeben hat, dann
soll Gerechtigkeit geschaffen werden. Aber dem nazistischen Wüten darf kein
Alibi geboten werden. Es ist klar, daß es zwischen uns und den Verteidigern
unserer Henker keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit geben kann.
Diese Idee an sich ist schon merkwürdig. Etwas derartig Ungereimtes würde es
weder in Oradour noch in Lidice geben, um nur diese zwei Beispiele zu
geben." Die von Durand geleitete Delegation verließ nach dem Vortrag der
Erklärung den Tagungsort.
Im April 2001 hörten wir ihn mit Worten, fast schon einem
Vermächtnis gleich an die Nachkommenden gerichtet, zum 56. Jahrestag der
Selbstbefreiung Buchenwalds zum letzten Mal vor dem Glockenturm auf dem
Ettersberg; "Wir sind nicht die Klageweiber der Geschichte. Wir sind der
lebende Beweis dafür, daß der Kampf für Freiheit, Frieden und Glück immer
möglich ist. Unser langes Leben hat uns gelehrt, daß man nie aufgeben darf,
daß man im Herzen die Flamme der Hoffnung und den Willen bewahren muß, eine
bessere Welt aufzubauen, eine Welt, die der Menschheit würdig ist. Diesen
Wunsch haben wir mit unserem Schwur am 19. April 1945 ausgedrückt. Jetzt
müssen Sie ihn in die Tat umsetzen."
hagalil.com
2007
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