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Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt:
Der Zeitzeuge als natürlicher Feind des Historikers?
Von Andrea Livnat
Die politischen Debatten des vergangenen Jahres waren
geprägt von der Frage nach einer angemessenen Form der Erinnerung an die
Zeit des Nationalsozialismus. Nach einer Phase der Verdrängung sei nun eine
Zeit des Übermaßes an Erinnerung eingetreten, hieß es aus verschiedenen
Ecken. In den oft unsäglichen Debatten in Feuilletons und
Fernsehdiskussionen mag sich manch einer die klärenden Worte eines
Historikers herbeigesehnt haben. Tatsächlich verlangt die besondere Brisanz
der deutschen Erinnerung "alternative Formen der Bewältigung einer noch
nicht zur Ruhe gekommenen Vergangenheit", wie es im Vorwort des von Konrad
H. Jarausch und Martin Sabrow herausgegebenen Bandes "Verletztes Gedächtnis"
heißt.
Der Band enthält einige ausgewählte Beiträge und Kommentare einer Tagung
über die "Historisierung der Gegenwart", die im März 2001 in Potsdam
stattfand. In verschiedenen Schwerpunkten wird die Frage nach dem Verhältnis
von Zeitgeschichte und Erinnerung untersucht. Gleich zu Beginn stellt Konrad
H. Jarausch in seinem Beitrag "Zeitgeschichte und Erinnerung" die Frage nach
"Deutungskonkurrenz oder Interdependenz". Dabei gehe es hinter dem "gern
zitierte(n) Bonmot des "Zeitzeugen als (natürlichem) Feind des Historikers""
um einen weit "tieferen Konflikt zwischen dem moralisierenden Duktus der
Erinnerung und dem rationalen Erklärungsanspruch der Forschung". Einer
prägnanten Einführung in die Begrifflichkeiten und Definitionen der
Erinnerung und einer Typologie von drei Ebenen der Erinnerung, im Bereich
des kommunikativen, kollektiven und kulturellen Gedächtnisses, gibt Jarausch
eine disziplingeschichtliche Analyse einiger Entwicklungsprobleme der
Zeitgeschichte wieder.
Trotz zahlreicher Einwände konnte sich die Zeitgeschichte in der
Bundesrepublik erfolgreich etablieren, nicht zuletzt dadurch, "da sie der
Politik Hilfe bei der Bewältigung der NS-Vergangenheit versprach". Mehr
noch, die Forschungsergebnisse der Zeitgeschichte haben mittlerweile zu
einer Disziplinierung des kollektiven Gedächtnisses beigetragen. Die
Sichtweise des Nationalsozialismus als "Betriebsunfall" konnte verdrängt
werden, strukturelle Untersuchungen bis hin zur Alltagsgeschichte haben
schließlich auch die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen als Täter
ins Zentrum der Forschung gerückt.
Die Verknüpfung von Zeitgeschichte und Politik bleibt, Jarausch nennt als
negatives Beispiel der institutionellen Abhängigkeit der Disziplin von der
Politik die Kontroversen um das Hannah-Arendt-Institut in Dresden. Dazu
kommt ein ständiger Widerspruch für den Forscher zwischen "Engagement und
Distanzierung", wie Jarausch schreibt: "Einerseits lebt die Beschäftigung
mit der jüngsten Vergangenheit von ihrem ethischen Impuls zur Enthüllung von
Geheimnissen der Macht und zur Aufklärung über Wirkungszusammenhänge vor
allem unter Diktaturen, der auf eine wertende Stellungnahme hinzielt."
Andererseits aber muss die Objektivität so weit als möglich gewahrt sein,
soweit das überhaupt möglich ist, gefordert ist also ein distanziertes,
nicht emotionales Herangehen. Daran schließt ein weiteres Problem der
Zeitgeschichte, nämlich der Konflikt zwischen eben genau diesem objektiven
Arbeiten und der subjektiven Erfahrung des Historikers, der selbst auch
Zeitzeuge ist, der innerhalb eines bestimmten kollektiven Gedächtnisses
handelt, denkt und forscht.
Erinnerung und Zeitgeschichte müssen mit ihren alternativen Zugängen
miteinander kollidieren, denn die Forschung der Historiker rührt an Fragen
der Legitimation, indem sie Mythen und Legenden der Erinnerung zerbricht.
Jarausch spricht hier an, was Aleida Assmann in ihren Studien zum
kollektiven Gedächtnis ausführlich gezeigt hat. Die Geschichtsschreibung
bietet quasi ein Arsenal an potentiellen Erinnerungen für die Zukunft.
Legitimation und Delegitimation liegen eng aneinander. Der Prozess, bis sich
eine neue Anschauung durchgesetzt hat und schließlich auch ins kollektive
Gedächtnis der Gesellschaft übergegangen ist, ist kompliziert und lang.
Jarausch nennt als Beispiel die Fischer-Kontroverse um die deutsche Schuld
am Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Erwähnt sei auch die
Instrumentalisierung der Forschungsarbeiten Daniel Goldhagens in der
öffentlichen Debatte oder aber, um eine besonders scharfe Auseinandersetzung
anzubringen, der Streit um die sog. "Neuen Historikern" in Israel.
Jarausch zieht das Fazit, dass es dringend geboten sei, dass sich
Zeithistoriker in die aktuellen Erinnerungsdiskussionen einschalten. Ein
verantwortlicher Umgang mit Gedenken und Erinnern benötige "in der
Gesellschaft auch eine stärkere Rückbindung an die zeithistorische
Forschung, um den Prozeß der Erinnerung wie seine gesellschaftlichen
Funktionen zu problematisieren". Mehr noch, Zeithistoriker müssen "bewußt
eine Historisierung vorantreiben, die auf persönliche Erfahrungen eingeht
und sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in ein komplexeres Bild der
Vergangenheit integriert."
Von der Verantwortung der Historiker in öffentlichen Diskursen spricht auch
Hans Günter Hockerts in seinem Beitrag "Zugänge zur Zeitgeschichte:
Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft". Eingangs weist
er darauf hin, dass die Fachwissenschaft immer nur kleine Teile der
Öffentlichkeit erreichen kann und stellt die unterschiedlichen Zugangsweisen
zur Zeitgeschichte dar. Bei der Thematisierung des Gegensatzes von Zeitzeuge
und Zeithistoriker merkt Hockerts, Professor für Neuere Geschichte an der
Universität München, an: "Es gibt eine Schrecksekunde, die wohl jeder kennt,
der zeithistorische Vorlesungen hört oder hält: Aus dem kreis der
Seniorenstudenten erhebt sich jemand und sagt: "Das war aber ganz anders.
Ich weiß das, denn ich habe es selber erlebt." In solchen Momenten macht
sich abermals eine Spannung bemerkbar, diesmal zwischen Zeitzeugenschaft und
Zeithistorie." Tatsächlich wird jeder, der einmal eine Vorlesung von Hans
Günter Hockerts besucht hat, diese Situation selbst miterlebt haben.
Die Frage, was die Zeitgeschichte von anderen Zugängen zur Vergangenheit
unterscheidet, beantwortet Hockerts zunächst in einem prägnanten Satz mit
einem grundsätzlichem Zweifel an der Geltung der Aussagen von Quellen.
Historiker beziehen die Umstände der Aussagen mit ein. Ein Beispiel, wo dies
dringend erforderliche gewesen wäre, ist für Hockerts die
Fernsehdokumentation von Guido Knopp "Hitlers Helfer", die emotionalisierte,
aber die Bilder nicht dokumentierte. Hockerts kommt dabei zu dem Schluss,
dass Fernsehen und Kino die Wissenschaft als kritisches Korrektiv nur noch
wichtiger macht. In den Printmedien macht sich seit den 80er Jahren eine
interessante Tendenz "in Gestalt einer Zwischenschicht von
'Historiker-Journalisten'" bemerkbar, also Historiker vom Fach, die als
Journalisten arbeiten und dabei Feuilletons und Rezensionswesen füllen. Sie
üben eine vermittelnde Funktion zwischen der Fachwissenschaft und der
Öffentlichkeit aus, aber steuern und lenken dadurch auch die Kontroversen.
Als Konsequenz nennt Hockerts beispielsweise die Ausmusterung der
sozialwissenschaftlichen Denkschule, andererseits wurden biographische
Darstellung, politische Geschichte, aber auch Alltags- und Kulturgeschichte
in den Mittelpunkt gerückt.
Hockerts Fazit ist, dass Zeithistorikern eine besondere Bedeutung, aber auch
eine besondere Verantwortung zukommt: "Die Zeithistoriker haben laut zu
widersprechen, wenn sie im öffentlichen Gebrauch der Geschichte
Unverantwortliches wahrnehmen (...). Umgekehrt bedürfen die Ergebnisse der
zeithistorischen Forschung fast immer der Vermittler und Übersetzer, wenn
sie einem größeren Publikum nahegebracht werden sollen. Insofern sind die
Historiker gut beraten, wenn sie auf solche Experten zugehen und sich auch
am eigenen Schopf fassen, wenn es darum geht, die Standards der
Zusammenarbeit zu verbessern."
In einem zweiten Teil des Bandes unter der Überschrift "Literarische
Vergegenwärtigungen" geht zunächst Peter Fritzsche "volkstümliche(r)
Erinnerung und deutsche(r) Identität nach dem Zweiten Weltkrieg" anhand der
von Walter Kempowski 1993 und 1999 veröffentlichten Dokumentation "Das
Echolot" nach. Wolfgang Hardtwig plädiert schließlich dafür, "daß die
Historiker das spezifisch literarische Projekt zur Aneignung oder
Wiederaneignung vergessener oder vom Vergessen bedrohter Geschichte ernster
nehmen, als das bislang geschehen ist" und stellt entsprechende Überlegungen
anhand von fünf Büchern an, Stefan Heyms "Collin", Christoph Meckels
"Suchbild. Über meinen Vater", Christa Wolfs "Kassandra", Christoph Heins
"Der Tangospieler" und Andrzej Szcsypiorskis "Feuerspiele".
"Wissenschaftliche Zeitzeugenschaft" ist das Thema von Martin Sabrow, der
den Historiker als Zeitzeugen untersucht, anhand "autobiographische(r)
Umbruchsreflexionen deutscher Fachgelehrter nach 1945 und 1989". Historiker
sind im Gegensatz von Geschichte und Gedächtnis an der Schnittstelle
situiert, Zeitgeschichte und Zeitzeugenschaft fallen personell zusammen.
Sabrow stellt daher die Frage ob Historiker "kraft Amt und Ausbildung
tatsächlich die besseren Zeitzeugen" sind. Seine Ausführungen geben keine
positive Antwort, im Gegenteil. Anhand unterschiedlicher Beispiele
verdeutlicht Sabrow den Umgang der Geschichte des Nationalsozialismus in
Autobiographien deutscher Historiker und findet drei verschiedene
Strategien, "nämlich erstens die teleologische Gegenwartsorientierung der
erinnerten Tatbestände, zweitens ihre Einordnung in eine spannungsbehaftete,
oft antagonistische Inszenierung der autobiographischen Beziehung von Ich
und Umwelt und schließlich ihre authentifizierende Präsentation als
glaubwürdige Erzählung."
Auch Ralph Jessen widmet sich unter dem Titel "Zeithistoriker im
Konfliktfeld der Vergangenheitspolitik" der Entwicklung der
Zeitgeschichtssschreibung in der Bundesrepublik und hält dabei sechs
Spannungszonen fest, darunter die Beziehung zwischen Politik und
Wissenschaft und unscharfe disziplinäre Abgrenzung der Zeitgeschichte, wobei
er drei verschiedene Generationen von Zeithistorikern ausmacht, die
"Weltkriegsgeneration", die "Flakhelfergeneration" und die
"Nachkriegsgeneration".
Der Verarbeitung der Schoah widmen sich zwei Beiträge, die einerseits die
deutsche, andererseits die jüdische Perspektive beleuchten. "Vom Prozeß in
Jerusalem zum Kniefall in Warschau und darüber hinaus. Proben im
Gedächtnistheater in Deutschland 1960-1975" ist das Thema von Y. Michael
Bodemann. Er schlägt vor, folgende Periodisierung des öffentlichen Diskurses
der Nazi-Verbrechen in Westdeutschland vorzunehmen: "Die erste Periode, der
Schock des Erwachens, ertreckt sich vom Kriegsende bis etwa Anfang 1947; die
zweite Periode des "Beschweigens" von 1947 bis etwa 1960. Die dritte Periode
nun erstreckt sich von 1960 bis zu den späten siebziger Jahren und die
vierte von dort bis zur Wende, um 1990." Die Zeit vor dem Eichmann-Prozeß
charakterisiert Bodemann als Zeit der "negativen Erinnerung", in der, wie in
einem Fotonegativ, nur die Konturen der Schoah sichtbar wurden, der
eigentliche Inhalt, also die Vernichtung an sich dagegen ausgespart. Er
betont in diesem Zusammenhang, dass es zwar kein totales Schweigen über
Hitler und die Verbrechen des Nationalsozialismus gab, aber auch kein
zentrales öffentliches Interesse und kein nationales Narrativ. Bodemanns
These ist, dass es zwischen 1960 und 1975 zu einer radikalen Veränderung im
"Gedächtnistheater Deutschland" kam. Zu Beginn dieser Periode steht der
Eichmann-Prozess, der einen Deutschen in einem Käfig sitzend als Ausdruck
deutscher Schuld präsentierte. Einen wichtigen Einschnitt sieht Bodemann mit
dem Sechs-Tage-Krieg 1967, der neben einer bestimmten Gleichsetzung von
Juden und Deutschen, beispielsweise der Gleichsetzung von Moshe Dayan mit
Erwin Rommel, eine Hinwendung des deutschen politischen Etablishments zum
Staat Israel zur Folge hatte. Gleichzeitig ermöglichte die Konzentrierung
auf Israel die Ausblendung jüdischen Lebens in Deutschland und deutscher
Juden. Moshe Zimmermann untersucht schließlich "Täter-Opfer-Dichotomien als
Identitätsformen" und widmet sich dem Image der Juden als ewige Opfergruppe.
Den Abschluss des Bandes bilden zwei Aufsätze zur politischen
(De-)Legitimierung, Dietrich Mühlbergs Thesen unter dem Titel "Vom langsamen
Wandel der Erinnerung an die DDR" und Axel Schildts "Überlegungen zur
Historisierung der Bundesrepublik".
Der Band bietet in vielen verschiedenen Perspektiven einen Einblick in die
problematische Beziehung zwischen Geschichte und Gedächtnis, stellt
theoretische Grundfragen heraus und zeigt anschauliche Beispiele. Es bleibt
zu wünschen, dass der Band nicht nur beim Fachpublikum gefallen findet und
dazu beiträgt, zeitgeschichtliche Forschung in die Öffentlichkeit zu tragen,
wie es die Verfasser der Beiträge gefordert haben.
Konrad H. Jarausch, Martin Sabrow (Hg.):
Verletztes Gedächtnis Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im
Konflikt,
Campus Verlag 2002, Euro 29,90
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hagalil.com
2007
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