Die Debatten um den Schlussstrich:
Umkämpfte Vergangenheit
is, haGalil, 2002
Die Debatte, welcher Umgang mit den Verbrechen der deutschen
Nationalsozialisten der Richtige sei, gehört seit Gründung der BRD zu den
zentralen öffentlichen Diskursen.
Dabei lassen
sich mehrere Argumentationsstränge erkennen die in unterschiedlichen Phasen
die Erinnerungskultur prägten.
Die Forderung
nach einem Schlussstrich unter die Erinnerung ist so alt wie die Erinnerung
selbst. Bereits kurz nach dem Krieg wurden Stimmen laut, die ein Ende der
noch nicht in Ansätzen geschehenen Beschäftigung mit den NS-Verbrechen
forderten. Meist gesellt sich zu der Aussage "nach XY Jahren muss doch
endlich einmal gut sein" die Relativierung der Verbrechen durch Überbetonung
deutscher Kriegs-"Opfer". Bis in die 60er Jahre wurde so eine
Auseinandersetzung und Beschäftigung mit dem Holocaust in Deutschland
weitgehend verhindert. Erst mit dem gesellschaftlichen Aufbruch Ende der
60er Jahre änderte sich dies. Die Ereignisse 1933-45 wurden langsam auch
Thema in den Schulen. Gleichzeitig
entstanden zahlreiche Basisinitiativen, die zum ersten Mal im Land
der Täter nachfragten und recherchierten. Solche Bemühungen dienen seit
Mitte der 80er Jahre mehr und mehr als Rechtfertigung für ein Ende der
Auseinandersetzung. In dieser Logik dient die Tatsache, dass es überhaupt
eine nennenswerte Beschäftigung mit den Verbrechen in Deutschland gibt als
Argument, diese auch gleich wieder zu beenden.
Mit der
Wiedervereinigung und dem erstarkenden Rechtsextremismus gewann auch die
absurdeste Form des Umgangs mit den NS-Verbrechen an Bedeutung: die
Leugnung. Eine Aufschwung der extremen Rechten schien vor dem Hintergrund
der Taten des Nationalsozialismus nicht möglich, weshalb rechte Kader die
Devise ausgaben: Auschwitzlüge als Grundlage eines künftigen Rechtsrucks.
Heute wissen
wir: dieser Trick war gar nicht notwendig. Trotz des Wissens um die Taten im
öffentlichen Bewusstsein haben rechte Gruppen ungebremsten Zulauf.
Die Intention
der Erinnerungskultur hat sich in den letzten Jahren grundsätzlich
gewandelt. War es früher selbstverständlich, durch aktives Gedenken auch
politisch Position zu beziehen gegen ein aggressives Deutschland,
Militarismus und für internationale Solidarität, so verschwinden langsam die
politischen Konsequenzen aus dem öffentlichen Bewusstsein. Oder sie werden
komplett umgedeutet wenn, wie 1999 im Kosovo Auschwitz bzw. dessen
angebliche Verhinderung als Begründung für den ersten deutschen
Angriffskrieg nach 1945 herangezogen wird.
Die Debatten
der letzten Jahre um Goldhagen, Walser, die Wehrmachtsausstellung und
zuletzt Möllemann zeigen jedenfalls, wie groß der Bedarf an Aufarbeitung und
Diskussion auch heute noch ist.
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2007
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