Interview mit Rafael Seligmann:
"Trittbrettfahren mit dem Holocaust"
In den letzten Jahren häufen sich kommerzielle
Spielfilme, die den Holocaust thematisieren. Wie erklären Sie sich diese
Entwicklung?
Einmal mit dem zeitlichen Abstand vom Holocaust. Die
Filmemacher, Regisseure und Produzenten gehören nicht der unmittelbar
betroffenen Opfer-Generation an. Dadurch ist die Kraft vorhanden, sich mit
der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Zum zweiten haben die jüdischen
Wurzeln bei vielen stark nachgelassen. Viele konzentrieren sich im Judentum
nicht mehr auf die Religion, die Geschichte, die Kultur. Da sie darüber zu
wenig wissen, konzentrieren sie sich auf die stärksten Emotionen - das war
die Shoa. Und dann gibt es eine Reihe von Trittbrettfahrern, die den
Holocaust als Investition, als eine "gute Aktie" betrachten, so z.B. Roberto
Benigni mit "Das Leben ist schön".
Warum betrachten Sie seinen Film "Das Leben ist schön"
als "Investition" in den Holocaust?
"Das Leben ist schön" ist nur noch Klamauk. Radu
Mihaileanu, der Regisseur von "Zug des Lebens" (1999) sagte über Benigni, er
suche mit "Das Leben ist schön" vor allen Dingen Geld und Ruhm. Und er hat
Recht. Benigni zeichnet stark schwarz und weiß. Hier die Bösen, da der
märtyrerhafte Vater, der erst durch die Shoa über sich selbst hinauswächst.
Darüber hinaus ist der Film zutiefst unhistorisch. Er impliziert z.B., dass
jüdische Kinder die Konzentrationslager überlebt hätten. Tatsache ist, dass
1½ Millionen jüdische Kinder während dieser Zeit ermordet wurden. Benignis
Film ist eine rührselige Geschichte, die ihre Kraft eindeutig aus der Shoa
bezieht. Er ist ein Konjunktur-Ritter.
Genauso unhistorisch fand ich Spielbergs Dokumentation
"Die letzten Tage". Fünf Überlebende, die allesamt nach Amerika ausgewandert
sind, sprechen über ihre Vergangenheit. Die Shoa wird als eine Art Abenteuer
dargestellt, dass mit der Ankunft in den Staaten ein gutes Ende findet. Nach
dem Motto: Wir kamen in die USA und alles wurde gut. Dass Amerika während
des Krieges abseits gestanden hat, dass es sich in den dreißiger Jahren und
Anfang der vierziger Jahre weigerte, Juden aufzunehmen, wird mit keinem Wort
erwähnt.
Kommerzielle Spielfilme wie "Aimée und Jaguar" oder
"Sunshine" greifen persönliche Schicksale auf. Glauben Sie nicht, dass über
die Identifikation des Zuschauers mit der Filmrolle Aufklärungsarbeit
geleistet wird?
In "Aimée und Jaguar" wird eine Wirklichkeit dramatisiert
und verzerrt, die es so nicht gab. Die Shoa-Geschichte wird auf eine
Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen reduziert. Sämtliche Klischees werden
bedient. Die Jüdin ist klug, flott und schnell und die Deutsche ist dumm,
dumpf und langsam. Ich habe Lilly Wüst, das Vorbild von Aimée persönlich
kennengelernt. Sie ist eine intelligente, zupackende und willensstarke Frau.
Von ihrem Mann, der im Film, passend zum Klischée, als Schläger und Brutalo
dargestellt wurde, sprach sie als einem sensiblen Mann, der ihr nie etwas
zuleide getan hätte. In Filmen wie "Aimée und Jaguar" und das "Leben ist
schön" wird mit Emotionen gespielt. Ernsthaftigkeit und ernsthafte
Erinnerung gehen dadurch verloren.
Ich glaube nicht, dass diese Filme nachhaltige
Aufklärungsarbeit leisten können. Medienuntersuchungen besagen, dass
Kinobesucher, die sich z.B. "Aimée und Jaguar" und danach weitere Filme
ansehen, sich nur einen Bruchteil der vermittelten Information merken. Wem
von den Zuschauern von "American Beauty" ist z.B. bewußt, dass hier die
Entfremdung der amerikanischen Gesellschaft darstellt wird? Vielleicht zwei
Prozent der Kinobesucher. Also diejenigen, die sich bereits vorher mit dem
Thema beschäftigt haben und sich auch in Zukunft damit beschäftigen werden.
Glauben Sie, dass die "Holocaust"- Filme notwendig sind
und welche Kriterien zeichnen einen gut gemachten Film dieser Art aus?
Wenn ich an einen von den aktuellen, besseren Filmen
dieser Art denke, z.B. "Zug des Lebens", bin ich unentschieden. Bei Kunst
wäre es vermessen zu sagen, dass sie notwendig ist oder nicht. An Kunst habe
ich nur zwei Ansprüche. Sie muß berührend und ehrlich sein. Das andere
Kriterium ist das der Aufklärung. Spielbergs Film "Schindlers Liste" war
aufklärerisch in dem Sinn, dass er zeigte, dass der Einzelne nicht machtlos
ist. Geschichte hat einen Sinn. Der Sinn ist, zu begreifen, was wir aus der
Vergangenheit lernen können. Tatsache ist, dass man die Shoa weder filmisch
noch in anderer Form aufarbeiten kann. Die Frage ist: Was kann man aus ihr
für die Gegenwart lernen?
Rafael Seligmann, Autor von Gegenwartsromanen über
das deutsch-jüdische Verhältnis, kam 1957 als Zehnjähriger nach Deutschland.
Nachrichtenblatt des Jüdischen Museums in Berlin, März
2001.
hagalil.com
2007
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