Zwangsarbeit und Entschädigung:
Die Realität moralischer
Verantwortung
Von Christine Raedler und
Gabriel Levy-Hass, haGalil 9-99
Das systematische Wegsehen und Weghören, das
die Auseinandersetzung mit den Verbrechen Deutschlands im Zweiten
Weltkrieg kennzeichnet, findet auch im Umgang mit der sogenannten
"Wiedergutmachung" bzw. der Entschädigung von Opfern des NS-Regimes
seinen beschämenden Ausdruck.
Dies zeigte sich erneut in der Debatte um die
Entschädigung von für den deutschen Staat und die deutschen Konzerne
geleisteten Zwangsarbeit im "Dritten Reich". Ob Deutsche und
Dresdner Bank, Volkswagen AG, Allianz oder jüngst IG Farben i.A. -
die Entschädigungsdebatte sorgt für Unruhe in den Führungsetagen.
Das Ausgreifen deutscher Konzerne auf den US-Markt auf der einen und
die neu formierten Sammelklagen Betroffener auf der anderen Seite
bringen Staat und Wirtschaft erheblich unter Druck. Die unter diesem
Druck avisierte Notlösung der Gründung von Entschädigungsfonds hilft
den Konzernen auf die Sprünge. Da und dort stellt man sich sogar der
angeblich frisch entdeckten eigenen Geschichte. Soeben geschehen bei
der Deutschen Bank, deren aus gegebenem Anlaß emsig arbeitendes
"Historisches Institut" die Leichen im Keller der Bank - in Form von
Aktenbergen zur Mitfinanzierung von Auschwitz in Polen über Kredite
von Tochterunternehmen an die lokale SS - ausgrub. Überhaupt nichts
Neues im übrigen: Seit den leider wenig beachteten "Ermittlungen
gegen die Deutsche Bank", dem sog. OMGUS-Bericht (Office of Military
Government for Germany, United States, Finance Division / Financial
Investigation Section) von 1947 und der vor ein paar Jahren
erstellten Studie "Das Gold der Juden" des britischen Juristen Tom
Bower ist der Zusammenhang zwischen Deutscher Bank und dem
Chemiewerk der IG Farben in Auschwitz klar herausgestellt, was die
Bank damals jedoch wohlweislich ignorierte. Diesmal aber tut man so,
als stelle man sich aufgrund soeben entdeckter Sachverhalte seiner
"geschichtlichen Verantwortung" und gibt seinem Institut das Okay
zur Enthüllung dessen, was man zuvor wissentlich verschleierte: die
Inhalte von sage und schreibe 15 Kilometer Aktenmaterial (FAZ) aus
der Zeit des "Dritten Reiches" - eine Menge, der man schon rein
räumlich nur schwer aus dem Weg gehen kann.
Gegen diese Übermacht von Beweismaterial verbinden
sich Staat und Wirtschaft zu einer Solidargemeinschaft von deren
Spitze aus der rotgrüne Kanzler Schröder - sich selbst als
Schutzschild deutscher Interessen verstehend - verkündet: "Es wird
in Deutschland keine neue Wiedergutmachungsdebatte geben." Auf
diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Moral des
deutschen Staats kaum noch. Vielmehr scheint sich zu bestätigen, was
bereits im Septemper 1964 ein ehemaliger Auschwitz-Häftling bitter
notierte: "Die großen Rüstungskonzerne, die Milliarden am Massenmord
des zweiten Weltkrieges verdienten, beherrschen heute wieder Staat
und Wirtschaft in Westdeutschland."
Im folgenden wird der Umgang mit Zwangsarbeit und
Entschädigung zunächst am Beispiel des IG Farben Konzerns
dargestellt. Im Anschluß daran ist die Rechtslage zum Thema
diskutiert und von Fallbeispielen unterlegt. Hier zeigt sich: Es ist
ein schweres Unterfangen für die Betroffenen mit häufig schlechtem
Ausgang.
IG Farben i.A. Das lange Warten auf das
Recht
Gelinde gesagt zäh gehen die Mühlen bei dem
deutschen Unternehmen, deren Aktionäre sich am 25.3.99 in
Frankfurt/M. versammelten. Die "IG Farben in Abwicklung" ist die
Nachfolge-Gesellschaft des Chemiekonzerns IG Farben, der während des
Zweiten Weltkriegs etwa 350 000 Zwangsarbeiter beschäftigte - unter
anderem im firmeneigenen Auschwitz-Lager Monowitz -, deren
Tochterfirma DEGESCH (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung
mbH, Frankfurt/M.) Zyklon B für den Massenmord lieferte und der so
enorme Kriegsprofite anhäufen konnte.
Während der Konzern 1939 ein Eigenkapital von
1038,9 Millionen Mark auswies, betrug das Eigenkapital seiner drei
Hauptgesellschaften Bayer, Hoechst und BASF 1952 nach Abschreibung
sämtlicher Verluste 1660,3 Millionen Mark. Eigenkapital, das durch
den Kriegsgewinnler Nummer 1 mit Zwangsarbeit, Patentierung von in
Konzentrationslagern erprobten medizinischen Präparaten und
Massenmord erwirtschaftet wurde. Nach dem Krieg erzwangen die
Alliierten die Auflösung des Konzerns und die Wieder-Aufspaltung in
die früheren Unternehmen BASF, Hoechst und Bayer, deren Eigenkapital
1963 bereits die 6-Miliarden-Grenze erreichte. Das Restvermögen des
Ex-Konzerns wurde nach dem Krieg auf die "IG Farben in Abwicklung"
übertragen. Die IG Farben i.A. wird nunmehr seit mehr als 50 Jahren
liquidiert. Wegen zahlreicher Einsprüche und Prozesse ehemaliger
Aktionäre der IG Farben, die um den Gewinn aus ihren Anteilen
bangten, wurde die schon vor 50 Jahren beschlossene Auflösung der
Gesellschaft bis heute nicht vollzogen; ihr Firmenvermögen wird zur
Zeit mit 27,8 Millionen Mark angegeben. Obwohl die Firma als das
Symbol für die Zusammenarbeit der Industrie mit dem Nazi-Regime gilt
und immer wieder mit Entschädigungs-Forderungen und seit kurzem auch
mit Klagen konfrontiert wurde, erfolgten bislang keinerlei
Entschädigungszahlungen an die Opfer. So haben drei ehemalige IG
Farben-Zwangsarbeiter die Nachfolge-Gesellschaft jüngst auf
Schmerzensgeld und Lohn-Nachzahlung verklagt. Die heute zwischen 73
und 76 Jahre alten Männer leben in Israel. Sie waren aus Polen nach
Deutschland verschleppt worden. Die Entscheidung über ihre Klage ist
noch offen. Sie könnte wegweisend sein, aber die biologische Uhr
tickt.
Da sich BASF, Hoechst und Bayer nicht als
Rechtsnachfolger der IG Farben betrachten, sehen sie für sich auch
keine gesetzliche Verpflichtung zur Entschädigung ehemaligen
Zwangsarbeiter. Gleich einem Tropfen auf dem heißen Stein erklärten
sich die Konzerne im Februar bei ihrem Treffen mit Schröder zur
Beteiligung an einem geplanten Staatsfonds zur Entschädigung der
Nazi-Opfer bereit.
Als sich nun im März die Aktionäre der IG Farben
i.A. im vierten Anlauf - im letzten Jahr war es dem Konzern wegen
anhaltender öffentlicher Proteste nicht gelungen, geeignete
Räumlichkeiten zu finden - in Frankfurt/M. zu ihrer Hauptversammlung
trafen, war der Aufruhr groß: Etwa 180 Demonstranten, darunter
ehemalige Zwangsarbeiter und andere Holocaust-Opfer der IG Farben,
hinderten zunächst die Aktionäre am Betreten des Gebäudes, indem sie
sich mit der Polizei ein Handgemenge lieferten. Im weiteren
versuchten sie immer wieder, die Versammlung zu stören und wurden
teilweise von Sicherheitskräften aus dem Saal gebracht.
Demonstranten und kritische Aktionäre fordern die sofortige
Auflösung des Unternehmens und die Verwendung des gesamten
Firmenvermögens zur schnellstmöglichen Entschädigung von Opfern.
Denn alles andere wäre "doch nur Verzögerung, um die Sache
biologisch vom Tisch zu kriegen", wie der Auschwitz-Häftling Hans
Frankenberg hervorhob, der wie andere seit einen halben Jahrhundert
auf sein Recht wartet. Im Verlauf der Versammlung boten sich
schamvoll häßlichste Zwischenfälle; so wurde eine kritische
Aktionärin als "Judenhure" beschimpft und im Folgenden auch noch
belehrt: "Die Juden sind von Deutschland seit 50 Jahren unterstützt
worden - einmal muß ja Schluß sein." Symtomatisch dafür, wie die
Entschädigungsdebatte in der BRD geführt wird!
Die Liquidatoren, der Rechtsanwalt Volker Pollehn
und der CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt verwässerten dann
auch gleich den harten, berechtigten Kurs Kritischer Aktionäre.
Unter der Berufung, "ihrer historischen Verantwortung" gerecht zu
werden, räumten sie hinsichtlich der Firmenbeurteilung ein: "Ob es
uns gefällt oder nicht: Die IG Farben sind ein Negativ-Symbol für
die Zusammenarbeit der Industrie mit den Nationalsozialisten." Aus
dieser Tatsache zogen sie dann freilich nicht die gleichen Schlüsse
wie Demonstranten und Kritische Aktionäre. Sie baten die Aktionäre
lediglich darum, sie mit der Vorbereitung einer Stiftung zur
Entschädigung zu beauftragen, für die - unklar formuliert - nunmehr
ein Großteil des Firmenvermögens in einem nicht genannten Zeitraum
verwendet werden soll. Diesem Antrag schloß sich die
Hauptversammlung mehrheitlich an.
Die Liquidatoren bekräftigten vor allem in
Richtung der Kritischen Aktionären ihren Willen, das Unternehmen
beschleunigt zu liquidieren, jedoch schneide man sich bei einer
sofortigen Auflösung ins eigene Fleisch, da nicht alle rechtlichen
Möglichkeiten ausgeschöpft seien, um an das ehemalige Ost- und
Auslandsvermögen der IG Farben heranzukommen. So wollen sie - trotz
einer rechtskräftigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus den
80er Jahren - Zugriff auf das frühere Auslandsvermögen der IG Farben
verlangen, das die IG Farben kurz vor Kriegsende durch Gründung der
Holding IG Chemie in der Schweiz in Sicherheit gebracht hatte. Diese
firmierte 1945 in "Interhandel" um, die bald darauf mit der
schweizerischen Bankgesellschaft (UBS) fusionierte - eine alles in
allem perfekte Verschleierung. Nach Bernhardt handele es sich bei
dem ehemaligen Auslandsvermögen der IG Farben mit Zinsen um etwa 4,4
Milliarden Mark, die man von dem zweitgrößten schweizer Bankhaus
zurückfordert. So vergeht wiederum wertvolle Zeit mit dem
fadenscheinigem Ausblick, eine größere Summe in den
Entschädigungstopf werfen zu können.
Nach Henry Mathews (Vorstand des Verbands
kritischer Aktionäre) durchaus "typische Lippen-Bekenntnisse der
Liquidatoren". Mathews bezeichnete die IG Farben als die einzige
kriminelle Vereinigung, die von der Polizei geschützt werde.
In einem Brief an die Liquidatoren des
Chemiekonzerns verlangt auch der Zentralrat Deutscher Sinti und
Roma, vertreten durch Romani Rose, Entschädigungszahlungen an die
überlebenden Sklavenarbeiter noch in diesem Jahr.
"IG Farben und Degussa müssen sich wegen ihrer
Mitverantwortung an den Massenmorden mit Zyklon B auch an weiteren
Entschädigungsfonds beteiligen." Jeder ehemalige Zwangsarbeiter
müsse für die erbrachte Leistung und die erlittenen
Gesundheitsschäden mindestens 10.000 Mark erhalten, schrieb Rose.
Nach dem 1991 gefällten Beschluß der Aktionärsversammlung der IG
i.A. zur "Vorbereitung der Gründung einer Stiftung" sei es zynisch,
jetzt diesen Beschluß lediglich zu wiederholen. In Wirklichkeit
würden die Zahlungen auf diese Weise bis zum Tode der letzten
Überlebenden hinausgezögert. Auch der Sprecher der Vereinigung der
Verfolgten des Nazi-Regimes, Peter Gingold, erinnert sich an "das
Gerede" von der Stiftung zu Beginn der 90er Jahre, aus der dann
nichts wurde.
Der Zentralrat vertritt nach eigenen Angaben die
aus der Nazizeit resultierenden Entschädigungsansprüche von
insgesamt 2850 Personen an Deutsche und Schweizer Firmen. Von den
Sinti und Roma, die während der Nazizeit Zwangsarbeit für die IG
Farben leisteten, leben den Angaben zufolge heute noch zehn bis 15
Personen. Im April wollen sich Vertreter des Zentralrates der Sinti
und Roma in den USA mit Anwälten treffen, um Sammelklagen gegen
Firmen in Deutschland und der Schweiz vorzubereiten.
Ein Sprecher des deutschen Bündnisses gegen IG
Farben sagte, so lange es keine definitiven Zusagen seitens des
Unternehmens gebe, würden die Proteste weitergehen.
Der Koordinator der Klägerseite gegen IG Farben, Andrzeij Bodek,
begrüßte im Namen seiner Mandanten die Einrichtung einer Stiftung.
Doch müsse eine sofortige und direkte Zahlung erfolgen. Dabei dürfe
es keine Pauschal-Entschädigungen geben, sondern nur individuelle
Regelungen. Er warf der IG Farben eine "Strategie der biologischen
Lösung" vor. Die jüngsten Opfer seien schließlich schon 70 Jahre
alt.
Unterdessen richtete die Organisation "claims for
jewish slave-labour compensation" einen offenen Brief an den
deutschen Regierungschef Schröder. Darin fordern überlebende
Zwangsarbeiter finanzielle Entschädigung als überfälliges Recht ein.
Entschädigung und Recht
Am 11. November 1986 legte die Bundesregierung
ihren Bericht zur Wiedergut-machung und Entschädigung vor: Bis zu
diesem Zeitpunkt hatte die BRD Leistungen in Höhe von 77,07
Milliarden DM erbracht und wird künftig, von 1986 hochgerechnet bis
ins Jahr 2000, etwa weitere 25,59 Milliarden hierfür aufbringen. Man
brüstet sich damit, daß die "Wiedergutmachung insgesamt gesehen als
eine historisch einzigartige Leistung angesehen werden" könne.
Einmalig allerdings ist auch die Ermordung von 6 Millionen Juden und
der Diebstahl deren Vermögen, einmalig auch die planvolle
Vernichtung von Millionen durch Arbeit für deutsche Konzerne und den
deutschen Staat. Vom kalten Zahlenspiel abgesehen stellt sich die
Frage, was es tatsächlich mit der Wiedergutmachung auf sich hat. Wie
die gesetzlichen Grundlagen hierfür aussehen, soll im folgenden
dargestellt werden.
Zweigeteilt: Wiedergutmachung
"Wiedergutmachung" ist ein zweiteiliges Verfahren:
der eine Teil beinhaltet die Rückerstattung geraubten Vermögens und
ist Gegenstand vor allem des Gesetzes Nr. 59 des Alliierten
Kontrollrats (AKR) vom 10. November 1947 gewesen. Der andere Teil
umfaßt überwiegend andere (immaterielle) "Schadenstatbestände" wie
den Schaden an Leben, Gesundheitsschäden, Berufsschäden.
Das Gesetz Nr. 59 über die Rückerstattung
"arisierten" Vermögens des AKR wurde zwar von deutschen Juristen
(Otto Küster, Adolf Arndt) erarbeitet, aber als von den Alliierten
auferlegt erlassen. So brauchten sich deutsche Länderregierungen
nicht nachsagen zu lassen, eine gesetzliche Verpflichtung zur
Rückerstattung veranlaßt zu haben. Es regelte die Rückgabe von im
Verlauf der "Arisierung der Wirtschaft" geraubten Vermögens wie
Grundstücke, Fabriken, Wertpapiere durch private deutsche
"Ariseure". Hierbei handelte es sich um eine individuelle
Rückerstattung, die gegen Ende der 50er Jahre als weitgehend
abgeschlossen betrachtet werden konnte. Das
Bundesrückerstattungsgesetz von 1957 klärte abschließend die
Rückerstattung von in öffentlicher Hand des Rechtsnachfolgers des
"Dritten Reichs" befindlichen "arisierten" Vermögensgegenständen.
Der Nachweis durch Einträge in Handelsregistern,
Grundbüchern, öffentliche Bekanntmachungen und Zeitungsannoncen
verhalfen den ursprünglichen Besitzern zur Rückerstattung. Die
zahlreichen weniger wohlhabenden Verfolgten und Beraubten mußten
sich in die Schiene der Entschädigung nach Bundesergänzungs- und
Bundesentschädigungsgesetz einspulen und begutachten lassen. Bis
heute sind auf dieser Grundlage etwa 4 Milliarden DM an Leistungen
geflossen. Zwar nahmen die privaten Ariseure an der Rückerstattung
Schaden. Allerdings konnten sie diesen "Schaden" ab 1969 als "Opfer
der Wiedergutmachung" auf der Basis des Reparations-schädengesetzes
wieder gut machen – sofern sie sich nicht bereits für ihre
verlorenen Ostgebiets-Firmen nach dem Lastenaus-gleichsgesetz von
1952 hatten entschädigen lassen.
Rückerstattung im Fall Joseph Blumenbach
Soweit der deutsche Staat willens war, die
Eigentums- bzw., Vermögensnachweise, die die während der Zeit des
"Dritten Reichs" beraubten Antragsteller vorlegten, anzuerkennen,
wurde diesen Ansprüchen in der Regel nachgegeben. Allerdings sah
dies konkreten Fall beispielsweise so aus: Ein ehemaliger
Regierungsrat in Nordbaden hatte einen Rückerstattungsantrag
vorgelegt mit einem Anspruch auf 2.000 DM für den Verlust seiner
Bibliothek. Das zuständige Gericht verlangte ein Verzeichnis aller
900 Titel mit Anschaffungsjahr und -preis sowie Quittungen der
Buchhandlungen, was der Antragsteller natürlich nicht erbringen
konnte, also keine Rückerstattung.
Diese zynische Entschädigungspraxis verschärft
sich im Fall sog. "Wilde Arisierung", bei denen ohne jede
institutionelle Rückbindung Personen willkürlich Person um ihr Hab
und Gut gebracht wurden. Im Fall des Gelnhäuser Autohändlers,
Tankstellen- und Kfz-Werkstattbesitzers Joseph Blumenbach erfolgte
1933 eine solche "Wilde Arisierung". Der Tatort, die
Barabarossastadt Gelnhausen sollte noch für ihren
"Radau-Antisemitismus" berüchtigt werden und sich schließlich am 1.
November 1938 stolz für "judenfrei" erklären. Am 23. März 1933
suchten örtliche SA-Männer in per Armbinde ausgewiesener Eigenschaft
als Hilfspolizisten Haus und Geschäft heim und durchsuchten beides.
Anschließend sind das Benzingeld (400 DM), eine antike
Waffensammlung und Blumenbachs Armeerevolver ohne Hinterlassen einer
Quittung verschwunden. Er selbst wird ohne Haftbefehl abgeführt und
erst am 17. Juni 1933 wieder aus der Haftanstalt Preungesheim
entlassen. Da er seine Heimatstadt Gelnhausen nicht mehr betreten
darf - nur unter dieser Zusicherung wird er überhaupt freigelassen -
, geht er nach Mannheim, von wo im August 1938 ihm und seiner
Familie die Flucht in die USA gelingt.
Nach dem Krieg erhielt Blumenbach für die beiden
"arisierten" Häuser, Werkstatt und Tankstelle Hailerer Straße 1 und
Geschäftssitz und Wohnhaus Roether Gasse 10 - heute beliebtes - eine
Nachzahlung wegen Schaden aus Arisierung. Die Ariseure selbst - wir
erinnern uns - konnten sich diese Nachzahlung ab 1969 nach dem
"Reparationsschädengesetz wiedergutmachen lassen. Die Zahlung stand
jedoch "in gar keinem Verhältnis zu dem wirklichen Wert der
Geschäftsanwesen", so Blumenbach: "Wir klagten auf die Rückgabe der
sehr wertvollen antiken Waffensammlung, wofür wir am Ende 1.000 DM
bekamen, weil wir keine Quittung für die einzelnen Artikel vorlegen
konnten. Als wir nach dem Krieg den Versuch machten,
Geschäftsentschädigung zu bekommen, erhielten wir die Mitteilung,
daß das Finanzamt während des Kriegs zerstört wurde und alle
Steuererklärungen verbrannt seien." Als Blumenbachs aus Gelnhausen
vertrieben wurden, hatten sie 58.000 RM Außenstände bei
Geschäftspartnern. Von Mannheim aus mußten sie ein Inkasso-Büro zur
Eintreibung der Forderungen beauftragen. Das Ergebnis nach fünf
Jahren: 6.000 RM Eingänge rechnete das Büro ab, davon 50% für
Blumenbach - blieben also schlappe 3.000 RM. Der zur Ausreise
notwendige Heimatschein, ausgestellt im Juli 1938, galt bis Juli
1943. Danach verloren sie, da sie ja nun keine Gelegenheit mehr
hatten, den Heimatschein verlängern zu lassen, ihre
Staatsbürgerschaft.
In der amerikanischen Zone verabschiedete der
Länderrat am 26. April 1949 das erste einheitliche
Entschädigungsgesetz für diese Länder. Wieder waren Küster und Arndt
am Werk und es wurde erlassen als "Gesetz Nr. 951 zur
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts vom 16.8.1949".
Hier wurden erstmals grundlegende Begriffe definiert: Was ist
"Verfolgung", wer gilt als "Verfolgter", welche Schäden sind
erlitten worden. Zum ersten Mal bezog ein Gesetz die Displaced
Persons mit ein - 1949!. Diese hatten nicht vor 1937 im Reichsgebiet
gelebt, sondern waren aus den Konzentrationslagern befreit worden
und warteten nun in DP-Lagern auf Rückkehr in die alte oder
Einreisemöglichkeiten in die neue Heimat. Nach diesem und anderen
Ländergesetzen, die bis 1953 erlassen wurden, sind bis 1986 1,835
Milliarden DM geleistet worden. Bis zum Jahr 2000 werden es 1,935
Milliarden sein. Warten auf Godot
Im September 1949 gibt Konrad Adenauer im ersten
deutschen Bundestag seine Regierungserklärung ab. Er spricht davon,
daß durch die "Denazifizierung viel Unglück und Unheil angerichtet
worden" sei, die "wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der
nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, mit
aller Strenge bestraft werden" sollen. Der Krieg und die Wirren der
Nachkriegszeit hätten "eine so harte Prüfung für viele gebracht und
solche Versuchungen, daß man für manche Verfehlungen und Vergehen
Verständnis aufbringen" müsse, weswegen über eine Amnestie
nachgedacht werden müsse. Das "wichtigste Kapitel" ist für Adenauer
aber "die Frage der deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten"
und es fällt ihm schwer "mit der notwendigen leidenschaftslosen
Zurückhaltung zu sprechen (wenn er) an das Schicksal der
Vertriebenen, die zu Millionen umgekommen sind", denkt. Mit keinem
Wort wird vier Jahre nach der Befreiung der Überlebenden aus den KZ
deren Entschädigung auch nur erwähnt.
Im März 1951 wandte Israel sich mit einem
Reparationsanspruch gegenüber Deutschland in Höhe von 1,5 Milliarden
Dollar an die Besatzungsmächte. Die Höhe der Forderung begründete
der israelische Staat damit, daß er für die Eingliederung der etwa
500.000 aus ehemaligem deutschen Machtbereich nach Palästina
geflohenen Juden ca. 3.000 Dollar Eingliederungshilfe pro Person
geleistet habe. Daneben stehe das in den besetzten Ländern geraubte
und an Ermordete nicht mehr rückerstattbare Vermögen. Im Dezember
des gleichen Jahres veröffentlicht ein Meinungsforschungs-institut
das Ergebnis der vom US-Hochkommissar in Auftrag gegebenen Umfrage
zu den Forderungen Israels: Auf die Frage, ob Juden und anderen
verfolgten Gruppen geholfen werden sollte, antworteten 68% der
Befragten mit Ja. Davon billigten 17% den Juden das geringste
Anrecht auf Entschädigung zu. 49% der Befragten stellten das
Schicksal der Juden dem aller anderen Gruppen gleich, 21% lehnten
jede Wiedergutmachung an Juden ab. Bei den Antworten auf die zweite
Frage, welche Gruppen das größte Anrecht besäßen, standen die Juden
an letzter Stelle. Kriegswitwen und -waisen, Bombengeschädigte und
Vertriebene rangierten vor ihnen. So gab es
sechs Jahre nach Kriegsende und zwei Jahre nach Gründung der BRD
noch immer kein Bundesgesetz zur Entschädigung nationalsozialistisch
Verfolgter. Aber das gesunde deutsche Volksempfinden wollte schon
Unrecht wieder gut machen. Deshalb verabschiedete der Bundestag am
11. Mai 1951 die Regelung zur Wiedereinstellung ehemaliger
Angehöriger der NSDAP in den Staatsdienst nach Artikel 131 GG (daher
auch 131er-Gesetz genannt). Diese waren teilweise 1945 von der
Ausübung öffentlicher Ämter und von Ruhestandsbezügen ausgeschlossen
worden. Am selben Tag erging dann noch ein "Gesetz zur Regelung der
Wiedergutmachung für Angehörige des öffentlichen Dienstes" (BWGöD).
Danach erhielten die ab April 1933 von dem "Gesetz zur
Wiederherstellung des Beamtentums" und Folgegesetzen Betroffenen
eine bundeseinheitliche Entschädigung. Nach dem BWGöD sind bis 1986
etwa 1,9 Milliarden DM geleistet worden.
Daß das 131er-Gesetz vor allen
Entschädigungsgesetzen verabschiedet wurde, fanden nur wenige
peinlich. Schließlich sanktionierte es nur bestehende Zustände.
Nebenbei bemerkt waren von den 402 Mitgliedern des Bundestags
mindestens 53 ehemals Mitglied der NSDAP, die sich bis auf zehn auf
die Regierungsparteien CDU/CSU, FDP und DP verteilten.
Inwieweit die Wiedergutmachungsgesetze wirklich
aus der Einsicht, etwas wieder gut machen zu müssen, erwachsen sind,
ist fraglich. Das Bundessozialgericht sieht die Sache
folgendermaßen: "Alle Wiedergutmachungsgesetze der BRD sind in
Ausführung des am 26. Mai 1952 zwischen der BRD und den alliierten
Mächten geschlossenen Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung
entstandener Fragen (sog. Überleitungsvertrag), der das
Besatzungsstatut ablöste, ergangen ... . In dessen viertem Teil
wurde der BRD die Verpflichtung zur Entschädigung für Opfer der
nationalsozialistischen Verfolgung auferlegt." Obwohl der deutsche
Finanzminister Schäffer alles tat, um eine Einigung zu torpedieren,
legte das "Luxemburger Abkommen" vom 10. September 1952 die Zahlung
eines Betrag von 3 Milliarden DM an den Staat Israel innerhalb von
zwölf Jahren durch die BRD fest. Desweiteren sagte Deutschland die
Verbesserung der innerdeutschen Wiedergutmachungs-gesetzgebung zu.
Als der Vertrag dann endlich im Wahljahr am 18. März 1953 im
Bundestag ratifiziert wurde, stimmten 238 der 360 Anwesenden dafür
(125 SPD, 105 Regierungskoalition), 34 lehnten ab (15
Regierungskoalition) und 86 enthielten sich (68
Regierungskoalition). Die Leistungen aus diesem Abkommen betragen
bis heute 3,450 Milliarden DM.
Bundesergänzungs- und Bundesentschädigungsgesetz
Mit dem Luxemburger Abkommen war nun ein
bundeseinheitliches Entschädigungs-gesetz unumgänglich geworden.
Beim Gesetzesentwurf führte ausgerechnet der Entschädigungsgegner
Ernst Féaus de la Croix die Feder. Der Volkswirt und Jurist -
zuständig im Bonner Finanzministerium für alle
Wiedergutmachungsleistungen - hatte 1938 zu den Verfassern der
Nazi-Denkschrift "Rasse, Volk, Staat und Raum in der Begriffs- und
Wortbildung" gehört.
Die Bundesregierung setzte ihren Entwurf am 29.
Juli 1953 im Bundestag durch. Im Wahljahr wollte sie ihn dezidiert
nicht als eigenständiges Gesetzeswerk des bundesdeutschen
Gesetzgebers verstanden wissen. Der Öffentlichkeit verkauft wurde es
daher als Ergänzung zu US-Zonen-Gesetzen, als
"Bundesergänzungsgesetz". Das erste bundeseinheitliche
Entschädigungsgesetz durfte künftiger Wählerstimmen wegen keines
sein. Was war neu am BErgG?
Zu den Regelungen bisher genannter Gesetze wurden
nun die aus den osteuropäischen Vertreibungsgebieten ausgewanderten
Verfolgten entschädigungsberechtigt. Auch die Verfolgten in der
ehemaligen britischen Zone (Schleswig-Holstein, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen, Hamburg) konnten einen Entschädigungsanspruch
für Schäden im wirtschaftlichen und beruflichen Fortkommen geltend
machen. Der Bundesgerichtshof wurde als oberste Instanz in
Wiedergutmachungssachen bestimmt. Das klingt theoretisch ganz gut,
war aber nur schwer in die Praxis umzusetzen: Der Beanspruchende
mußte nachweisen, daß seine Verfolgung eine gegen ihn persönlich
gerichtete "amtliche Maßnahme" gewesen war. Nicht einfach, legte
doch bereits der §1 BErgG eindeutig die Verfolgungsbestände fest:
Rasse, politische Gegnerschaft, Glaube, Weltanschauung. Konkret: Wer
also nicht im Reichsgesetzblatt als ausgebürgert veröffentlicht
wurde, ging nach der Rückkehr aus dem überlebensnotwendigen Exil
leer aus. Wer ohne die schriftliche Vorlage "amtlicher Billigung"
sich der Deportation durch Selbstmord entzog, machte es seinen
Hinterbliebenen unmöglich, Entschädigung zu beanspruchen. Er hätte
damit warten müssen, bis der Zug fuhr!
Nichtbeamtete Verfolgte - wir erinnern uns, Beamte
fielen unter das BWGöD - konnten einen einmaligen Betrag von 25.000
DM für Existenzschäden beantragen. Bei Berechnungen der Renten- und
Kapitalentschädigungen wurden die Entschädigungsberechtigten nach
einer der vier Stufen der Beamtenhierarchie - einfacher, mittlerer,
gehobener Dienst - eingestuft. Klar, daß die meisten an den ersten
beiden Stufen hängen blieben. Gesundheitsschäden, die die
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigten, waren erst ab 30%
entschädigungsberechtigt. Hierbei mußte oft in harten
Gutachter-Verfahren die Verfolgungsbedingtheit der
Gesundheitsschäden nachgewiesen werden.
Bei der Novellierung des BErgG konnte Schäffer
seinen harten Kurs nicht mehr gänzlich durchsetzen, so daß eine
Verbesserung durch die Verabschiedung des BEG entstand: Anspruch
konnte jetzt auch geltend machen, wer bis zum 31.12.1952 (bisher:
1.1.1947) in die BRD zugezogen war und wer als amtlich gebilligter
Emigrant zuvor im Deutschland der Grenzen von 1937 (statt BRD 1953)
gewohnt hatte. Gesundheitsschäden konnten ab 25% geltend gemacht
werden, die Höchstgrenze für Eigentumsschäden wurde von 25.000 auf
75.000 DM heraufgesetzt. Der Tarif für KZ-Haft-Entschädigung lag
jedoch bei lächerlichen 150 DM pro Monat. Die Anträge hatten bis zum
1. Oktober 1957 bei den Entschädigungsämtern gestellt zu sein
– ein Jahr nach Veröffentlichung! Zur weiteren Begründung der
Anträge wurde nochmals eine Frist bis zum 1. April 1958 gewährt
(Ausschlußfristen). Ähnlich wie das BErgG legte das BEG folgende
acht Schadenstatbestände fest: Schaden an Leben, an Körper und
Gesundheit, an Freiheit, an Eigentum, an Vermögen (durch Zahlungen
von Sonderabgaben, Geldstrafen, Bußen und Kosten), im beruflichen
und im wirtschaftlichen Fortkommen.
Schadenstatbestände im Fall des Alfred
Jachmann
Der Mann im Stützkorsett war früher Leiter des
Jüdischen Altersheims in Frankfurt/M. Er trägt die Nummer 105 105
auf dem linken Unterarm. Die Nummer erhielt er in Monowitz, wo er
von März 1943 bis Januar 1945 für die IG Farben im Buna-Werk
Stahlrohre schleppte - zwölf Stunden täglich. Das Stützkorsett trägt
er, weil er sich auf dem Todesmarsch im Januar 45 von Auschwitz nach
Gleiwitz durch meterhohen Schnee kämpfte. Er war einer der 12.000,
die ankamen in Gleiwitz. Am nächsten Morgen brachte ein Güterzug sie
nach Kieferstädtel, wo sie in den Wald getrieben wurden. Am Abend
lagen Tausende von Leichen im roten Schnee. Alfred Jachmann hatte
sich verkriechen können und überlebte. Die Folgen der Erfrierungen
versucht er mit dem Stützkorsett zu lindern. Entschädigung? Ja, fünf
DM Haftentschädigung pro Tag. Gesundheitsschadenrente: zuerst 635
DM, 1991 erhält er – nach allen Erhöhungen – 1.003 DM.
Ausbildungsschaden: einmalig 5.600 DM. Die Leistungen nach BErgG und
BEG betrugen bis 1986 etwa 64 Milliarden DM und werden auf etwa 87
Milliarden DM im Jahr 2000 prognostiziert. Die "Schadenstatbetände"
wurden genannt und am traurigen Beispiel des Alfred Jachmann auf den
Punkt gebracht. Wer aber konnte der Schäden wegen Entschädigung
beantragen? Oder andersherum gefragt: Wer blieb davon
ausgeschlossen?
Eingeschlossene und Ausgeschlossene
Der §1 des BErgG gilt als Generalklausel: Alle,
die "aus Gründen der politischen Gegnerschaft, der Rasse, des
Glaubens oder der Weltanschauung" verfolgt waren, sind in die
Regelungen eingeschlossen. Daraus ergeben sich zwangsläufig die
"Ausschlußgründe": Alle, die nicht unter diese Generalklausel
fallen, sind ausgeschlossen, also:
- Sinti und Roma wurden zunächst als Kriminelle
abgestempelt. Erst mit einem Urteil vom 8. Dezember revidierte der
BGH seine eigene Auffassung und erkannte an, daß für die Deportation
von Sinti und Roma ab Mai 1940 "Gründe der Rasse" mit ursächlich
seien. - Zwangssterilisierte und die im Zuge der T4-Aktion
(Euthanasie-Programm) Ermordeten. Ihre Anträge wurden
zurückgewiesen, "weil die Sterilisation nicht etwa eine
Verfolgungsmaßnahme war, sondern allein aus erbbiologischen Gründen
vorgenommen worden" sei und "das Gesetz zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses als solches nicht rechtswidrig ist". Nebenbei: Auch die
Mengele-Zwillinge dürfen erst seit Juli 1987 eine Entschädigung
erwarten. Noch der Bericht der Bundesregierung von 1986 hatte von
"sogenannten ‘Mengele-Zwillinge’" besprochen und
festgestellt: "Zwillingsuntersuchungen dieser Art stellten ... keine
pseudomedizinischen Versuche dar." Was findet sich hierzu in der
Region? Das Kreisruheheim Gelnhausen hatte 1940 aufgrund der
Fragebogenaktion der "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und
Pflegeanstalten" unter seinen 40 Patienten drei Kandidaten für die
T4-Aktion gemeldet. - Asoziale. Auf sie seien die Gründe des BEG
nicht anwendbar. - Homosexuelle. Sie konnten, wenn sie nicht
gleich wieder strafverfolgt werden wollten, erst nach der
Strafrechtsreform von 1969 Ansprüche geltend machen. -
Kommunisten. Hier war der Staat fein raus, denn nach §6 BEG waren
notorische Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
(fdGo) der Entschädigung nicht würdig. Falls sie zuvor schon
Leistungen bezogen hatten, konnten ihnen diese nach Offenbarwerden
ihrer fdGo-Feindlichkeit entzogen werden. Nach dem KPD-Verbot wurde
deshalb die Entschädigung nicht selten als "Schweigegeld"
bezeichnet. Noch in den Anhörungen vor den Innenausschüssen im Jahr
1987 versuchte man die VVN als Interessen-vertreterin politisch
Verfolgter auszuschließen. Allein die Mitgliedschaft der VVN genügte
ab 1956, der Entschädigung "unwürdig" zu sein bzw. Leistungen wieder
entzogen zu bekommen.
Ausgeschlossen, weil eingeschlossen:
Der Fall Alfred KantorowiczAuch
Kommunisten, die nicht mehr als Kommunisten galten, wurden nach
diesem Schema abgewiesen. Der Jude, Kommunist, Spanienkämpfer und
Schriftsteller Alfred Kantorowicz war im Pétain'schen Frankreich
interniert. 1941 konnte er in die USA fliehen. 1947 kehrte er nach
Berlin (Ost) zurück, wo er zweieinhalb Jahre die Zeitschrift "Ost
und West" heraus gab. Nach dem Ungarn-Desaster 1956 überwarf sich
der Literaturprofessor mit der offiziellen Lehrmeinung, was ihm Job
und Pensionsanspruch kostete. Er floh in den Westen, wo ihm der
westdeutsche Staat in Gestalt des Bayrischen
Landesentschädigungsamtes (BLEA) die Entschädigung als unter den
Nazis politisch Verfolgtem verweigerte. Er habe der
"Unmenschlichkeit Vorschub geleistet", weshalb ihn das BLEA auch
nicht als in der DDR Verfolgten anerkannte - was das Amt bei
Nicht-Kommunisten, Nicht-Spanienkämpfern und Nicht-Juden recht gern
tat. Erst die Stadt Hamburg zahlte ihm ab 1961 eine Gnadenrente von
monatlich 500 DM. Er starb 1979 als bettelarmer Mann.
- Alle jene, die in besetzten Ländern von den Mordkommandos
überfallen wurden und bis zum 31.12.1952 nicht in die BRD gezogen
waren. Sie erfüllten die Wohnsitzvoraussetzungen nicht. In den 50er
und 60er Jahren wurden dann globale Abkommen mit westlichen Staaten
geschlossen – hier genügt ein Blick auf die Summe von 1
Milliarde DM (1988), um zu wissen, daß die meist einmaligen Beträge,
die die Verfolgten aus diesen Globalabkommen erhalten haben um
einiges niedriger waren, als sie nach dem BEG-Verfahren hätten
ausfallen können. Zumal Globalabkommen mit den Ländern Osteuropas
erst ab 1990 geschlossen wurden, gilt hier im umgekehrten Sinn: Zeit
ist Geld; jedes Jahr Verzögerung ist bar Erspartes. -
Zwangsarbeiter. Soweit sie unter die Generalklausel des BEG fielen,
also politisch, rassisch, religiös oder weltanschaulich verfolgt
waren, wurden sie nach dem BEG entschädigt. Der größte Teil des
Millionenheeres an Zwangsarbeitern erfüllte diese Voraussetzungen
jedoch nicht. Lediglich individuelle Ansprüche hätte man geltend
machen können; diese waren aber für den Großteil der Betroffenen,
die ja überwiegend aus Osteuropa deportiert worden waren - bis 1990,
dem Abschluß des Friedensvertrages unzulässig. Zusätzlich gibt es
bislang in der BRD keine gesetzliche Grundlage, welche die
Rechtsnachfolger der ehemaligen Arbeitnehmer "Drittes Reich",
Kommunen, Land- und Forstwirtschaft, Berg- und Straßenbau,
Reichsbahn und unzählige private Unternehmen zur Entschädigung
verpflichtet (siehe nhz-Bericht der letzten Ausgabe). Die BRD als
Rechtsnachfolgerin des "Dritten Reichs" fühlt sich hierfür moralisch
nicht zuständig.Sämtliche anhängigen
Verfahren zur Entschädigung von Zwangsarbeit wurden abschlägig
beschieden, außer, wenn der Antragsteller BEG-Voraussetzungen
erfüllte und bislang noch keine Leistungen nach BEG erhalten hatte.
Dies blieb so, bis man 1965 einen Schlußstrich unter die deutsche
Vergangenheit ziehen wollte.
Das Schlußgesetz
Am 26. Mai diesen Jahres erging das sog.
"Schlußgesetz", das nun eine "KZ-Vermutung" – also die Annahme
von KZ-Haft - bei einem Gesundheitsschaden von 25% Minderung der
Erwerbstätigkeit nach einem "KZ-Aufenthalt" (so der zynische
Gesetzesbegriff) vorlegte. Gesundheitsschäden durch Ghetto- und
Haftaufenthalt sowie ein Leben in der Illegalität fielen nicht
darunter. War ein Verfolgter vor dem 1.10.1953 gestorben (Datum der
Inkrafttretung des BErgG), ging seine Witwe bislang leer aus. Erst
nach dem Schlußgesetz konnte auch sie eine Hinterbliebenenrente
beantragen. Darüber hinaus wurde ein Härtefonds für diejenigen
eingerichtet, die nach dem 1.10.1953 aus dem Osten in die BRD
eingewandert waren - ergo: die Gesetzgebung gewährte gnadenreich,
statt einem Rechtsanspruch zu genügen. Die Antragsfristen waren eng
gesetzt: Anträge konnten bis zum 30. September 1966 gestellt werden,
zur Substantiierung wurde eine Nachfrist bis zum 31. März 1967
gewährt. Zum Kontrast: Das Lastenausgleichsgesetz von 1952, nach dem
- nichtjüdische - deutsche Vertriebene ihre in den
"Vertreibungsgebieten" erlittenen Schäden entschädigen lassen
konnten, kennt derartige Fristen nicht! Das Schlußgesetz ließ zudem
nur Erstanträge zu. In Erwartung der erneuten Einreichung vormals
abgelehnter Anträge nahm man in den §150 BEG-Schlußgesetz eilends
des Absatz zwei auf. Dieser besagte, daß alle, die nach 1953
ausgewandert waren und vor Inkrafttreten des Schlußgesetzes einen
Antrag gestellt hatten, abschlägig zu beschieden seien. Damit wurde
rückwirkend ein Stichtag eingeführt, eben der 1.10.1953. Im
vorauseilendem Gehorsam wiesen Behörden und Gerichte denn auch seit
Ende 1963 - in Erwartung des neuen Schlußgesetzes - alle Ansprüche
nach §150 BEG prophylaktisch ab. Tausende verloren damit ihre
Berechtigung. Erst als 1971 das Bundesverfassungsgericht diese
rückwirkende Festsetzung eines Stichtages für verfassungswidrig
erklärte, waren die Anträge wieder durchsetzbar. Rechtsanwälte, die
ihren Mandanten sechs Jahre lang abraten mußten, einen Anspruch zu
stellen, konnten diesen nun mitteilen, daß es sich doch lohnen
könnte, einen Antrag zu stellen. Hierzu ein konkreter Fall.
Bei der Nachfolgediskussion um den Vorsitzenden des
Zentralrates der Juden scheint sich immer mehr die Position von
Andreas Nachama, Vorsitzender der Gemeinde zu Berlin, durchzusetzen,
wonach ein Überlebender der Shoah die Nachfolge von Bubis antreten
sollte. Dies würde auf Charlotte Knobloch und Paul Spiegel
hindeuten. Überraschungen sind jedoch nicht auszuschliessen.
Nach dem Stichtag und dann noch ungenau
Eine in Kanada lebende Jüdin, die vor den Nazis
nach Osten geflohen und dort von den Russen ans Eismeer verschleppt
worden war, entschuldigte ihre verspätete Antragstellung damit, daß
sie erst jetzt in einer jüdischen Zeitung gelesen habe, daß ein in
Rußland erlittener Gesundheitsschaden entschädigt werde. Der BGH
entschied, daß ihr eine solche Ungenauigkeit bei ihrer
Antragstellung nicht nachgesehen werden könne, da sie weder den
Titel, noch das Erscheinungsdatum der jüdischen Zeitung in ihrem
Antrag genannt habe.
Es wurde eine Menge gewährt, noch mehr wurde
abschlägig beschieden und die Ausgeschlossenen blieben größtenteils
ausgeschlossen – so auch die ehemals 10 Millionen
Zwangsarbeiter der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates.
Für die Entschädigungsberechtigten war es überwiegend schwer,
Entschädigung zu bekommen. Nun droht nach 50 Jahren, im Mai 1999,
die endgültige Verjährung. Die hier skizzierte deutsche Gesetzgebung
zum Thema zeigte sich kompliziert und war daher für die Betroffenen
ohne sachgemäßen Rechtsbeistand kaum zu meistern. Besonders die
nicht selten gerade wegen ihrer Verfolgung verarmten und körperlich
versehrten Menschen gingen und gehen leer aus. Und auf ein neues,
gerechteres bundesdeutsches Entschädigungsgesetz ist nicht zu
hoffen, wie Christian Kolbe in der nhz 105 darlegte: Die rotgrüne
Bundesregierung wünscht keine neue Entschädigungsdebatte. Erst durch
die US-amerikanische Praxis der preisgünstigeren Sammelklagen
formieren sich Interessengruppen von Betroffenen, bei denen endlich
auch Zwangsarbeiter zu ihrem Recht kommen können. Darüber hinaus
läßt die gutachterliche Lehrmeinung in der BRD nahezu alle
Erkenntnisse ausländischer Fakultäten zur Thematik "Folgen der
Verfolgung" außer Betracht. "Insgesamt
gesehen, hat das Entschädigungsprogramm das Leben einer ganzen
Generation Überlebender sowie auch das ihrer Kinder beeinflußt,
gleichgültig, ob sie Entschädigung erhielten, ob ihre Ansprüche von
den westdeutschen Behörden abgewiesen wurden oder ob sie sich
aufgrund moralischer Prinzipien weigerten, das so dringend benötigte
Geld anzunehmen."
Gegen die so dringend gebotene Gerechtigkeit
beginnt sich das Kapitel zu schließen. Alles spricht dafür, daß die,
die in der Nachfolge des "Dritten Reichs" lange wegsahen und
weghörten, über die obsiegten, die diesen Weg nicht gehen wollten
und konnten. Mit dem bleiernen Langmut derer, die sich ihrer Schuld
nicht stellen wollen, sucht sich das deutsche Volk letztlich aus
seiner Verantwortung zu stehlen; ein vergeblicher, ein schändlicher
Versuch.
hagalil.com
2007
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