Der Antisemitismus der Nazis:
Kampf gegen die "jüdische Weltverschwörung"
Rezension von Karl Pfeifer
Das 560 Seiten umfassende Buch von Wolfram Meyer zu
Uptrup ist eine wissenschaftliche Darstellung und Analyse des Antisemitismus
der Nationalsozialisten.
Der Autor zitiert Eingangs die Tagebucheintragung Victor
Klemperers vom 25. April 1933: "Das Schicksal der Hitlerbewegung liegt
fraglos in der Judensache. Ich begreife nicht, warum sie diesen
Programmpunkt so zentral gestellt haben. An ihm gehen sie zugrunde. Wir aber
wahrscheinlich mit ihnen."
Die Untersuchung der Rolle des Antisemitismus in der
"Kampfzeit" der NSDAP bis zum Jahre 1933 zeigt auf, inwieweit antisemitische
Motive die Propaganda beeinflussten. Nach der Machtübergabe am 30. Januar
1933 bekamen die Nationalsozialisten Gelegenheit ihre menschenverachtenden
und verbrecherischen Ideen und Forderungen zunehmend Wirklichkeit werden zu
lassen. Der Autor dokumentiert wie antisemitische Konzepte eingesetzt
wurden, insbesondere während des Krieges, während der Deportationen und der
"Endlösung der europäischen Judenfrage".
Ein eigenes Kapitel behandelt "Interpretationen des
nationalsozialistischen Antisemitismus".
Juden reagierten auf die Konfrontation mit dem
Antisemitismus in der Weimarer Zeit verschieden. "Die ersten fühlten sich
nicht betroffen, weil sie der Auffassung waren, der Antisemitismus richtete
sich nur gegen andere, wie die Ostjuden, oder nur in einem abstrakten Sinne
gegen das Judentum allgemein. Durch eine Differenzierung wurde somit der
Antisemitismus relativiert oder als Angriff auf die ganze Republik
verstanden. Andere sahen die Schuld am Antisemitismus partiell bei den Juden
selbst, die sich noch nicht ausreichend integriert und assimiliert hätten.
Zuletzt wurde der Antisemitismus als ein Phänomen verstanden, das nur bei
randständigen Gruppen vorkam, man empfand nur Verachtung für die fanatischen
Außenseiter. Auf diese Weise scheinen viele Juden auch die
Nationalsozialisten in den 20er-Jahren wahrgenommen zu haben."
Die völlig neue Qualität des nationalsozialistischen
Antisemitismus führte zur systematischen Verfolgung und Vernichtung mit
allen staatlichen Mitteln. Für Juden gab es keine Rettung durch eigene
Handlungen denn durch Flucht aus dem deutschen Herrschaftsbereich.
Intellektuelle und besonders Literaten scheinen bis in die 1930er-Jahre
hinein Hitlers Antisemitismus weitgehend unterschätzt zu haben.
Heinrich Mann veröffentlichte 1933 in Amsterdam "Der Haß",
eine Analyse des Nationalsozialismus. Er sah im Antisemitismus "einen Fehler
im inneren Gleichgewicht einer Nation". Der Antisemitismus grenze die Juden
aus, und "das heißt in Wirklichkeit sie sollen Hungers sterben. Ein ebenso
einfaches wie wirksames Verfahren, um einen Bevölkerungs-Überschuß
loszuwerden!" Aber all dies bekomme erst im Hinblick auf den von den
Nationalsozialisten geplanten Krieg Sinn: "Aus Gründen der inneren Politik
kann man andere Gruppen der eigenen Nation nicht so ungeheuerlich hassen.
Dafür ist nötig, dass man sie als Helfershelfer des Auslandes ansieht und
als den verkörperten Widerstand gegen die Kriegsgelüste, von denen man
besessen ist."
Der Verfasser würdigt die Wienerin Irene Harand, die 1935
ein hellsichtiges Buch schrieb, in dem sie auf die "Protokolle der Weisen
von Zion" und die besondere Art des nationalsozialistischen Antisemitismus
aufmerksam machte. Harand war der Überzeugung, dass die
nationalsozialistische Propaganda mit der Botschaft der "Protokolle" der
NSDAP "Millionen von Stimmen" gebracht habe und erkannte im
Nationalsozialismus eine mörderische Konsequenz, die nicht harmlos sei,
sondern das "Todesurteil über Millionen von Menschen" bedeute.
Sebastian Haffner erkannte im Jahre 1939, dass die
Nationalsozialisten die Deutschen dazu "abrichten, dass sie die Juden über
die ganze Welt hin verfolgen und möglichst ausrotten".
Vollkommen daneben lagen die marxistischen Analysen, die
in grotesker Verkennung der politischen Verhältnisse in ihrer
verschwörungstheoretischen Dogmatik in Hitler nur ein "Werkzeug" der
"Großbourgeoisie" sahen.
1983 zeigte Michael Kater auf, welche Bedeutung der
nationalsozialistische Antisemitismus für verschiedene soziale Gruppen von
NSDAP-Mitgliedern besaß. Er wies nach, dass die untere Mittelklasse durch
die antisemitische Parolen der Nationalsozialisten stark angesprochen wurde.
"Bei einer akademisch gebildeten Elite sei der
Antisemitismus auf eine lange Tradition von Judenhass getroffen. Diversen
Berufsgruppen dieser Elite bot die antisemitische Politik nach 1933 [und
1938 K.P.] Vorteile, weil sie jüdische Konkurrenten aus ihrem Beruf
vertrieb. Da sich das Führungskorps der NSDAP aus der unteren Mittelklasse
rekrutierte, bestimmte ein recht starker Antisemitismus die
nationalsozialistischen Funktionäre auf allen Ebenen."
Eine wesentliche Rolle spielten "Die Protokolle der Weisen
von Zion" über die Hitler meinte: "Wie sehr das ganze Dasein dieses Volkes
[der Juden] auf einer fortlaufenden Lüge beruht, wird in unvergleichlicher
Art in den von den Juden so unendlich gehassten ‚Protokollen der Weisen von
Zion’ aufgezeigt. Sie sollen auf einer "Fälschung" beruhen, [...] der beste
Beweis dafür, dass sie also echt sind. Was viele Juden unbewusst tun mögen,
ist hier bewusst klargelegt. Darauf aber kommt es an. Es ist ganz gleich,
aus wessen Judenkopf diese Enthüllungen stammen, maßgebend aber ist, dass
sie in geradezu grauenerregender Sicherheit das Wesen und die Tätigkeit des
Judenvolkes aufdecken und in ihren inneren Zusammenhängen sowie den letzten
Schlusszielen klarlegen."
Hitler war auch in den Jahren des Zweiten Weltkrieges noch
davon überzeugt, dass die Protokolle "absolute Echtheit beanspruchen
könnten", wie Joseph Goebbels berichtete, der ebenfalls von der Wahrheit des
Inhalts der Protokolle und ihrer Nützlichkeit für die nationalsozialistische
Propaganda überzeugt war.
Der Autor dokumentiert auch die "Antisemitische Propaganda
für die Wehrmacht". "Der Soldat im Westen" zum Beispiel verkündete am 21.
Januar 1941: "Mit dem Ausbruch dieses Krieges [...] hat die letzte Stunde
des Judentums auf dem Kontinent geschlagen." Der Krieg habe dem Judentum
bereits den Verlust einiger Machtpositionen eingebracht, der europäische
"Reinigungsprozeß" könne, "wenn man dabei an die parasitäre Erscheinung der
Juden denkt – geradezu ein Entlausungsprozeß genannt" werden. Nach
Stalingrad wurde die antisemitische Propaganda noch vielfach verstärkt.
Wolfram Meyer zu Uptrup schildert "Rassenpolitik und
Judenpolitik in Kriegszeiten".
"Ein Widerspruch lag schon in der Behauptung, dass die
angeblich auf "Rassenreinheit" bedachten Juden durch "Rassenmischung" die
"rassische Grundlage der Völker" zerstören würden, um sich ungehemmt
entfalten zu können."
Über den Mord an den europäischen Juden sprach Hitler am
26. Mai 1944 vor Generälen und Offizieren der Wehrmacht: "Indem ich den
Juden entfernte, habe ich in Deutschland die Möglichkeit irgendeiner
revolutionären Kernbildung oder Keimzellenbildung beseitigt. Man kann mir
natürlich sagen: Ja hätten Sie das nicht einfacher – oder nicht einfacher,
dann alles andere wäre komplizierter gewesen – aber humaner lösen können?
[...]." Zumindest ein Teil der Wehrmachtsführung schien Hitlers Politik mit
dieser Begründung wenigstens stillschweigend zu billigen, von einem Protest
wegen dieser "Entfernung der Juden", von der wenigstens ein Teil der
anwesenden Offiziere wissen musste, dass es ein Völkermord war, wurde nichts
bekannt.
Wenn man den Feind in der Weise des antisemitischen
Konspirationsmodells beschrieb, wie Hitler und die Propaganda der NSDAP dies
machten, war eine stetig fortschreitende Radikalisierung einer auf diesem
Modell aufbauenden Politik die logische Konsequenz, die von der Vorstellung
einer Aufklärung über den Kampf bis zur Vernichtung rührte. Weil nach
Hitlers Überzeugung die Juden aller Welt seine Feinde waren, die auch die
Alliierten für ihre Zwecke einsetzten, gab es für seine Politik nur die
Konsequenz einer Ermordung aller dieser als Feinde definierten Juden, derer
er habhaft werden konnte.
Die Studie endet 1945. Leider wurde und wird auch nachher diese Wahnidee
einer "jüdischen Weltverschwörung" weiter verbreitet.
Schon aus diesem Grund ist der detaillierte und
kenntnisreiche Rückblick noch heute aktuell. Ein kleiner Fehler sei hier
bemerkt, an einigen Stellen steht fälschlich Eser statt Chaim Weizmann.
Wolfram Meyer zu Uptrup, Dr. phil., geb. 1962, Studium
der Neueren Geschichte und Theologie in Berlin, Heidelberg und Tübingen;
1998 Promotion mit der hier besprochenen Arbeit am Fachbereich
Kommunikations- und Geschichtswissenschaft der Technischen Universität
Berlin.
Meyer zu Uptrup, Wolfram:
Kampf
gegen die "jüdische Weltverschwörung"
Propaganda und Antisemitismus der
Nationalsozialisten
1919 bis 1945, Berlin: Metropol Verlag 2003
hagalil.com
2007 |