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Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung

Von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno

aus: Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente.
Elektronische Quelle: http://www.nadir.org

II

Der Antisemitismus als Volksbewegung war stets, was seine Anstifter den Sozialdemokraten vorzuwerfen liebten:

Gleichmacherei. Denen, die keine Befehlsgewalt haben, soll es ebenso schlecht gehen wie dem Volk. Vom deutschen Beamten bis zu den Negern in Harlem haben die gierigen Nachläufer im Grunde immer gewußt, sie würden am Ende selber nichts davon haben als die Freude, daß die andern auch nicht mehr haben. Die Arisierung des jüdischen Eigentums, die ohnehin meist den Oberen zugute kam, hat den Massen im Dritten Reich kaum größeren Segen gebracht als den Kosaken die armselige Beute, die sie aus den gebrandschatzten Judenvierteln mitschleppten. Der reale Vorteil war halbdurchschaute Ideologie. Daß die Demonstration seiner ökonomischen Vergeblichkeit die Anziehungskraft des völkischen Heilmittels eher steigert als mildert, weist auf seine wahre Natur: es hilft nicht den Menschen, sondern ihrem Drang nach Vernichtung. Der eigentliche Gewinn, auf den der Volksgenosse rechnet, ist die Sanktionierung seiner Wut durchs Kollektiv. Je weniger sonst herauskommt, um so verstockter hält man sich wider die bessere Erkenntnis an die Bewegung. Gegen das Argument mangelnder Rentabilität hat sich der Antisemitismus immun gezeigt. Für das Volk ist er ein Luxus.

Seine Zweckmäßigkeit für die Herrschaft liegt zutage. Er wird als Ablenkung, billiges Korruptionsmittel, terroristisches Exempel verwandt. Die respektablen Rackets unterhalten ihn, und die irrespektablen üben ihn aus. Die Gestalt des Geistes aber, des gesellschaftlichen wie des individuellen, die im Antisemitismus erscheint, die urgeschichtlich-geschichtliche Verstrickung, in die er als verzweifelter Versuch des Ausbruchs gebannt bleibt, ist ganz im Dunkel. Wenn einem der Zivilisation so tief innewohnenden Leiden sein Recht in der Erkenntnis nicht wird, vermag es auch der Einzelne in der Erkenntnis nicht zu beschwichtigen, wäre er auch so gutwillig wie nur das Opfer selbst. Die bündig rationalen, ökonomischen und politischen Erklärungen und Gegenargumente - so Richtiges sie immer bezeichnen - vermögen es nicht, denn die mit Herrschaft verknüpfte Rationalität liegt selbst auf dem Grunde des Leidens. Als blind Zuschlagende und blind Abwehrende gehören Verfolger und Opfer noch dem gleichen Kreis des Unheils an. Die antisemitische Verhaltensweise wird in den Situationen ausgelöst, in denen verblendete, der Subjektivität beraubte Menschen als Subjekte losgelassen werden. Was sie tun, sind - für die Beteiligten - tödliche und dabei sinnleere Reaktionen, wie Behavioristen sie feststellen, ohne sie zu deuten. Der Antisemitismus ist ein eingeschliffenes Schema, ja ein Ritual der Zivilisation, und die Pogrome sind die wahren Ritualmorde. In ihnen wird die Ohnmacht dessen demonstriert, was ihnen Einhalt gebieten könnte, der Besinnung, des Bedeutens, schließlich der Wahrheit. Im läppischen Zeitvertreib des Totschlags wird das sture Leben bestätigt, in das man sich schickt.

Erst die Blindheit des Antisemitismus, seine Intentionslosigkeit, verleiht der Erklärung, er sei ein Ventil, ihr Maß an Wahrheit. Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz. Und wie die Opfer untereinander auswechselbar sind, je nach der Konstellation: Vagabunden, Juden, Protestanten, Katholiken, kann jedes von ihnen anstelle der Mörder treten, in derselben blinden Lust des Totschlags, sobald es als die Norm sich mächtig fühlt. Es gibt keinen genuinen Antisemitismus, gewiß keine geborenen Antisemiten. Die Erwachsenen, denen der Ruf nach Judenblut zur zweiten Natur geworden ist, wissen so wenig warum, wie die Jugend, die es vergießen soll. Die hohen Auftraggeber freilich, die es wissen, hassen die Juden nicht und lieben nicht die Gefolgschaft. Diese aber, die weder ökonomisch noch sexuell auf ihre Kosten kommt, haßt ohne Ende; sie will keine Entspannung dulden, weil sie keine Erfüllung kennt. So ist es in der Tat eine Art dynamischer Idealismus, der die organisierten Raubmörder beseelt. Sie ziehen aus, um zu plündern, und machen eine großartige Ideologie dazu, faseln von der Rettung der Familie, des Vaterlandes, der Menschheit. Da sie aber die Geprellten bleiben, was sie freilich insgeheim schon ahnten, fällt schließlich ihr erbärmliches rationales Motiv, der Raub, dem die Rationalisierung dienen sollte, ganz fort und diese wird ehrlich wider Willen. Der unerhellte Trieb, dem sie von Anfang an verwandter war als der Vernunft, ergreift von ihnen ganz Besitz. Die rationale Insel wird überschwemmt, und die Verzweifelten erscheinen einzig noch als die Verteidiger der Wahrheit, als die Erneuerer der Erde, die auch den letzten Winkel noch reformieren müssen. Alles Lebendige wird zum Material ihrer scheußlichen Pflicht, der keine Neigung mehr Eintrag tut. Die Tat wird wirklich autonomer Selbstzweck, sie bemäntelt ihre eigene Zwecklosigkeit. Immer ruft der Antisemitismus erst noch zu ganzer Arbeit auf. Zwischen Antisemitismus und Totalität bestand von Anbeginn der innigste Zusammenhang. Blindheit erläßt alles, weil sie nichts begreift.

Der Liberalismus hatte den Juden Besitz gewährt, aber ohne Befehlsgewalt. Es war der Sinn der Menschenrechte, Glück auch dort zu versprechen, wo keine Macht ist. Weil die betrogenen Massen ahnen, daß dies Versprechen, als allgemeines, Lüge bleibt, solange es Klassen gibt, erregt es ihre Wut; sie fühlen sich verhöhnt. Noch als Möglichkeit, als Idee müssen sie den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist. Wo immer er inmitten der prinzipiellen Versagung verwirklicht erscheint, müssen sie die Unterdrückung wiederholen, die der eigenen Sehnsucht galt. Was zum Anlaß solcher Wiederholung wird, wie unglücklich selbst es auch sein mag, Ahasver und Mignoi, Fremdes, das ans verheißene Land, Schönheit, die ans Geschlecht erinnert, das als widerwärtig verfemte Tier, das an Promiskuität gemahnt, zieht die Zerstörungslust der Zivilisierten auf sich, die den schmerzlichen Prozeß der Zivilisation nie ganz vollziehen konnten. Denen, die Natur krampfhaft beherrschen, spiegelt die gequälte aufreizend den Schein von ohnmächtigem Glück wider. Der Gedanke an Glück ohne Macht ist unerträglich, weil es überhaupt erst Glück wäre. Das Hirngespinst von der Verschwörung lüsterner jüdischer Bankiers, die den Bolschewismus finanzieren, steht als Zeichen eingeborener Ohnmacht, das gute Leben als Zeichen von Glück. Dazu gesellt sich das Bild des Intellektuellen; er scheint zu denken, was die anderen sich nicht gönnen, und vergießt nicht den Schweiß von Mühsal und Körperkraft. Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dessen die Herrschaft sich zu ihrer eigenen Verewigung bedient.

III

Vgl. Freud, Das Unheimliche. Gesammelte Werke. Band XII, S. 254, 259 u. a.
Kant, Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage. Werke. Band III. S. 180 f.
Freud, Totem und Tabu, Gesammelte Werke, Band IX. S. 91.

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