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Felix Goldmann:
Das Wesen des Judentums

Felix Goldmann (1882-1934) war liberaler Rabbiner in Leipzig. Die Passagen sind seinem Werk "Das Wesen des Antisemitismus", Philo-Verlag Berlin entnommen.

Der Antisemitismus als historische Erscheinung

Einleitendes

Der gesamte bisher behandelte Komplex von Stimmungen und Empfindungen ist die Grundlage, auf der ein Fremdenhaß Nahrung findet. Nicht treten sie alle mit gleicher Schärfe an jedem Ort hervor, und es mag noch manche andere Volksempfindung geben, die bei genauerer Prüfung die Disposition zum Fremdenhaß verrät. Das aber ist wesentlich, daß der Antisemitismus, die Abneigung gegen die Juden, sich in diesen großen Rahmen einfügt, daß er keine Sondererscheinung der jüdischen Geschichte ist, welche für sich allein beurteilt werden müßte. Er ist nur eine Spezialfrage aus dem größeren Gebiete des Fremdenhasses, freilich die wichtigste, weil sie zeitlich und lokal die einheitlichste und umfangreichste ist. Die besondere Färbung des Antisemitismus ergibt sich nun aus gewissen geschichtlichen Ursachen, und in der Fülle der Erscheinungen kann man drei große historische Tatsachen unterscheiden, welche immer wieder einzeln oder verbunden auf irgendeine Seite dieser Disposition Stoßen und so die unendliche Mannigfaltigkeit der Begebnisse hervorrufen.

Von diesen drei geschichtlichen Tatsachen sind zwei absolute: Die religiösen Unterschiede zwischen Juden und anderen Völkern und die Rassenverschiedenheit, jener den Haß gegen das Judentum, dieser den Haß gegen die Judenheit verursachend. Dazu tritt noch als dritte die wirtschaftliche Stellung, welche die Judenheit innerhalb der Umgebung eingenommen hat. Freilich ist diese historische Tatsache eine bereits abgeleitete, indem sie erst die Folge des auf anderer Grundlage entstandenen Antisemitismus ist. Sie setzt voraus, daß die Judenheit als eine fremde Masse empfunden worden ist und eine abweichende wirtschaftliche Entwicklung genommen hat. Andererseits wird sie aber auch die Grundlage zu neuer Abneigung und neuer Verfolgung. Die wirtschaftliche Bedeutung des Judentums geht auf Tatsachen zurück, die sehr umstritten sind. Ob eine besondere Begabung der Judenheit für die Losung wirtschaftlicher Schwierigkeiten vorhanden ist, mag dahingestellt bleiben. Sombarts Phantasien — in der Methode gleichen sie auf ein Haar den dilettantenhaften Feststellungen Chamberlains — sagen nichts darüber, da sie zugunsten einer feststehenden Theorie die Tatsache zurechtmodeln. Zweifellos ist aber der aus dem Antisemitismus entstehende Zwang zur Selbstbehauptung und zur Höchstleistung die Ursache der wirtschaftlichen Kraft. Mag nun diese Seite des Problems eine abgeleitete und keine ursprüngliche sein, so ist sie doch so selbständig geworden, daß man als die drei großen Typen des Judenhasses den religiösen, den wirtschaftlichen und den Rassenantisemitismus bezeichnen kann. Auch an gewisse Perioden der Geschichte sind sie mehr oder weniger gebunden. Der religiöse Antisemitismus beherrscht vornehmlich das Mittelalter. In der Neuzeit tritt die wirtschaftliche Frage mehr in den Vordergrund, und in der neuesten Zeit wird alles vom Rassenmoment beherrscht. Natürlich weist diese zeitliche Einteilung nur auf ein mehr oder weniger starkes Hervortreten hin. Sie will aber keineswegs sagen, daß in irgendeiner geschichtlichen Periode eine der Haupttypen erloschen oder nicht vorhanden gewesen sei, alle waren immer nebeneinander da. Nur hing es von gewissen allgemeinen Grundzügen der Geschichte der Umgebung ab, ob die eine oder die andere Seite mehr erweckt und betont wurde. Auch auf einen Zusammenhang, den die materialistische Geschichtsauffassung betont und der weiterhin kurz erötert werden wird, sei hier hingewiesen. Dem wirtschaftlichen Antisemitismus allein wird Bedeutung und Bestand zugesprochen. Er stelle die eigentliche Form des Judenhasses dar, dessen Triebfeder die Begehrlichkeit, dessen Ziel die wirtschaftliche Vernichtung der Minderheit und die Bereicherung an ihrem Gute sei. Der religiöse und der Rassenantisemitismus seien hingegen nichts wie die idealen, im Geschmacke der Zeit verfertigten Mäntelchen, die die nackten egoistischen Triebe einer rein materiell gerichteten Denkweise zu beschönigen hätten. Man erkennt unschwer, daß die Entscheidung dieser Frage bei dem heutigen Stande der historischen Forschung unmöglich ist. Solange eine wirkliche Geschichte des Judenhasses nicht vorhanden ist, kommt der Versuch zur Lösung der Frage bestenfalls auf eine Erörterung der allgemeinen Prinzipien geschichtlicher Auffassungsmöglichkeiten hinaus, auf eine Auseinandersetzung zwischen materialistischer und idealistischer Geschichtsbetrachtung.

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