[Das
Wesen des Antisemitismus]
Von Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi (1859,
Wien - 1906, Poběžovice)
Zweites Kapitel:
Antijudaismus im Altertum
pp 142 in der 1.Auflage von R.N. Coudenhove-Kalergis
1935 herausgegebenem Buch "Judenhass - Antisemitismus".
5. Religiöse Wurzeln der römischen Judenverfolgung
Gerade aus religiösen Gründen, ausschließlich aus
r e l i g i ö s e n, ist die Antipathie zu erklären, die den Juden
von den Völkern des Altertums immer und überall entgegengebracht wurde.
Denn ihre religiösen Forderungen standen mit ihren Pflichten als
Staatsbürger in grellem Widerspruche.
Trotzdem haben Juden im Altertum wiederholt hervorragende Rollen im
Staatsleben gespielt. Unter Ptolemäus VI. und dessen Gattin Kleopatra
standen sie an der Spitze der Regierung, und die ägyptische Heeresmacht
wurde von zwei Juden befehligt, Onias und Dositheus. Der jüdische
Konvertit Tiberius Alexander hat sogar im römischen Heere die höchste
Stellung eingenommen.
Aber im allgemeinen waren sie den Griechen und Römern,
wie gesagt, außerordentlich antipathisch. In den hellenistischen Städten
wurden sie mit Missgunst behandelt.
Schopenhauer spricht an zwei Stellen seiner Parerga
die Vermutung aus, dass die Verachtung der antiken Völker für die Juden
dem Umstände zuzuschreiben ist, dass die Judenreligion, weil sie keine
Unsterblichkeitslehre kannte, den "Heiden" als eine inferiore Religion
vorgekommen ist. Also selbst der große Schopenhauer hält den antiken
Antisemitismus für einen religiösen. Das ist wichtig, weil die
Antisemiten mit Vorliebe Schopenhauer als Autorität dafür anführen, dass
der Antisemitismus mit der Religion nichts zu schaffen habe. Ich ersuche
aber die geehrten Gegner, den Schopenhauer wirklich zu lesen. Da werden
sie entdecken, dass er die Juden fast nur ihrer Religion wegen bekämpft.
Er sagt zwar, dass es ein Irrtum ist, wenn man die Juden bloß als
Religionssekte betrachtet und dass die richtige Bezeichnung jüdische
Nation ist, was auch zutrifft, wenn man dabei nicht vergisst, dass es
die jüdische Religion war, die die Juden zu einer Nation gemacht hat. Zu
bedenken ist auch, dass zur Zeit, als Schopenhauer schrieb, die großen
Forschungen auf dem Gebiete der Bibelexegese (Wellhausen, Reuss usw.)
noch nicht gemacht waren; auch hatten die Schädelmessungen der
Anthropologen noch nicht erwiesen, dass es keine jüdische Rasse gibt.
Die schweren Vorwürfe, die Schopenhauer der Judenreligion macht wegen
religiöser Massaker, schonungslosem Morden und Ausrotten ganzer Völker,
der Schurkerei gegen Hemor und sein Volk, des sich Schenkenlassens der
Nachbarländer durch den Nationalgott, der Geschichte der Vertreibung der
Hagar usw., hätte Schopenhauer nicht mit dem Judentum als solchem
gemacht, hätte er damals, als er schrieb, schon wissen können, dass
diese Geschichten Jahrhunderte später zu didaktischen Zwecken
geschrieben worden sind und nie stattgefunden haben, wie die freie
Wissenschaft behauptet.
Die Eroberung Jerusalems durch Pompejus führte wieder
zu einem furchtbaren Blutbad, wobei der Umstand merkwürdig ist, dass die
jüdischen Priester, welche gerade mit den Opfern beschäftigt waren, sich
durch das Eindringen der römischen Soldaten nicht im geringsten stören
ließen und mitten in Ausübung ihres Berufes niedergestochen wurden.
Hiermit hatte die Freiheit des jüdischen Volkes, die ungefähr 80 Jahre
bestanden hatte, ein Ende. Palästina kam unter die Oberaufsicht des
römischen Statthalters von Syrien, wurde jedoch nach einigen Jahren
davon getrennt und erhielt eigene Prokuratoren.
Im Jahre 47 (v.Chr.Z.) wurde Hyrkan zum Ethnarchen der
Juden und Antipater zum Prokurator von Judäa ernannt, und zwar infolge
der Verfügung Julius Cäsars, welcher den Juden im Jahre 45 durch einen
Senatsbeschluss mehrere Privilegien verlieh. Im Jahre 40 erfolgte der
Einfall der Parther in Jerusalem, welches sie, trotz ihrer Freundschaft
mit Antigonus, dem Sohne des Aristobulus, dessen Anspruch auf den Thron
Julius Cäsar ignoriert hatte, gründlich plünderten. Antigonus war König
und Hohepriester durch die Gnade der Parther. Derselbe ließ dem Hyrkan,
um ihn für den Hohepriesterdienst untauglich zu machen, die Ohren
abschneiden. Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange.
Mittlerweile war Herodes der Grosse auf den Schauplatz
getreten, und es war ihm gelungen, den Antonius und selbst den Oktavian
dazu zu veranlassen, ihn in feierlicher Senatssitzung zum König von
Judäa erklären zu lassen.
Drei Jahre nach seiner Ernennung gelang es ihm, den
Widerstand des Antigonus, der dann auf Befehl des Antonius hingerichtet
wurde, niederzuwerfen. Hiermit hatte die Herrschaft der Hasmonäer
(Chaschmonaim) ein Ende und das Zeitalter der Herodianer begonnen.
Herodes war König von Judäa, jedoch unter der Oberherrschaft der Römer,
als Rex socius. Das jüdische Volk hasste ihn fürchterlich, da er als
Idumäer nur ein halber Jude war, wegen seiner treuen Freundschaft und
Anhänglichkeit gegen Rom und seiner Vorliebe für hellenistische Kultur.
Es waren die Pharisäer, welche ihm aus diesen religiösen Gründen gleich
bei seinem Regierungsantritte die größten Schwierigkeiten bereiteten. Es
gelang Herodes jedoch bald, durch Massenhinrichtungen diese orthodoxe
Partei zum Schweigen zu bringen. Konzessionen musste er ihnen aber
dennoch machen. So ließ er seine Münzen ohne Menschenbildnis prägen, das
eigentliche Tempelhaus nur von Priestern bauen und betrat persönlich nie
den inneren Tempelraum. Auf keinem der Gebäude Jerusalems ließ er Bilder
anbringen.
Als sich einst im Volke das Gerücht verbreitet hatte,
dass die im Tempel aufgehängten kaiserlichen Siegestrophäen mit Waffen
bekleidete Statuen seien und darob Unruhen entstanden, ließ Herodes in
Gegenwart der angesehensten Männer diese Trophäen herabnehmen und
entkleiden und zeigte ihnen zu ihrer Beruhigung die leeren Holzgerüste.
Schließlich ließ er jedoch zum Spotte einen Adler am Tempeltore
anbringen, was den Hass der Pharisäer, trotz der vielen erteilten
Konzessionen, wieder aufstachelte. Diese Tat, sowie die Begünstigungen,
welche Herodes den hellenistisch gesinnten Juden erwies und seine
Missachtung des Synedriums führten zu einer Verschwörung, die jedoch
bald niedergeworfen wurde. Als Herodes erkrankte und sich die Nachricht
verbreitete, seine Krankheit sei unheilbar, wiegelten zwei rechtgläubige
Rabbiner das Volk auf, in Befolgung des zweiten Gebotes Gottes, den so
anstößigen Adler vom Tempeltore herunterzureißen. Unter ungeheurem
Spektakel wurde dieses gottgefällige Werk vollbracht; aber der alte Löwe
Herodes war noch nicht ganz tot; er ließ die Rädelsführer lebendig
verbrennen! Kaum war er gestorben, und Archelaus — sein Sohn —
Nachfolger geworden, entstand ein Aufruhr in Jerusalem, da die
pharisäische Partei die Hinrichtung der beiden Rabbiner rächen wollte.
Die Juden schickten sogar eine Gesandtschaft nach Rom, um zu bitten,
dass fortan kein Herodianer mehr die Herrschaft über Palästina erhalte.
Kaiser Augustus ließ sich dadurch jedoch nicht beeinflussen. Herodes der
Grosse starb im Jahre 4 v. Chr. und es wurde sein Reich in drei Gebiete
geteilt. Das eine erhielt Philippus, der bis 4 n. Chr. regierte, das
andere Antipas — 4 v.Chr. bis 39 n.Chr. —, das dritte Archelaus, welcher
das eigentliche Judäa bekam, das jedoch schon im Jahre 6 n.Chr. unter
die römische Prokuratur kam. Vom Jahre 4 v.Chr. bis 39 n.Chr. regierte
Herodes Antipas als Tetrarch von Galiläa und Peräa.
Mit der Regierung über die Juden hatten die Römer ihre
liebe Not. So entgegenkommend dieselben auch gegen jene waren, die Juden
verlangten immer mehr und mehr Konzessionen, die jedoch der allgemeinen
Ordnung wegen schwer zu erteilen waren. In allen Provinzen des römischen
Reiches wurde der Kaiserkultus von der Bevölkerung gefordert und auch
anstandslos geleistet. Nur die Juden waren davon dispensiert
(ausgenommen zur Zeit des Kaisers Caligula).
Die im jüdischen Lande hergestellten Kupfermünzen
trugen zur Zeit der römischen Herrschaft kein menschliches Bild; eine
den Juden gemachte Konzession, weil sich die Darstellung menschlicher
Bilder mit ihrer Religion nicht vertrug. Die römischen Truppen pflegten
in Jerusalem ohne die Feldzeichen mit den kaiserlichen Bildern
einzuziehen, ebenfalls aus Rücksicht für die jüdische Religion. Als
Pilatus einst diese Sitte abschaffen wollte, drohte ein Aufstand
auszubrechen, so dass er sich endlich genötigt sah, die Kaiserbilder
wieder zu entfernen. Pilatus versuchte Gewalt anzuwenden, ließ Haufen
von Juden in der Rennbahn, wohin er sie beschieden hatte, nachdem sie
ihn fünf Tage lang mit Klagen bestürmt, von seinen Soldaten umringen und
hoffte mit Gewalt seinen Willen durchzusetzen. Die Juden jedoch
entblößten ihren Hals und erklärten, lieber sterben zu wollen, als in
einen solchen Frevel einzuwilligen. Da Pilatus es nicht auf ein Blutbad
ankommen lassen wollte, gab er nach und entfernte die Kaiserbilder. Ein
ähnliches Ereignis trat ein, als er die Schätze des Tempels zum Bau
einer nützlichen Wasserleitung verwenden wollte, deren Bau Pilatus
übrigens trotz ihres Widerstandes durchführte. Ebenso setzte das
jüdische Volk durch, dass die Weiheschilde, auf welchen bloß der Name
und nicht einmal das Bild des Kaisers aufgeschrieben war und welche
Pilatus in Jerusalem aufgehängt hatte, entfernt wurden. Die große
Judenverfolgung in Alexandrien im Jahre 38 n. Chr. hatte ebenfalls nur
religiöse Motive. Als Caligula befohlen hatte, dass seine Statue im
Tempel von Jerusalem aufgestellt werden sollte, gerieten die Juden außer
sich und es wäre damals schon zu blutigen Aufständen in Palästina
gekommen, wenn nicht der Statthalter von Syrien, Petronius, die
Anfertigung der Statue in verständiger Weise verzögert hätte und
Caligula nicht rechtzeitig gestorben wäre.
Der neue Kaiser Claudius schenkte unmittelbar nach
seinem Regierungsantritte dem Herodes Agrippa außer jenen Gebieten,
welche er bereits erhalten hatte, auch noch Judäa und Samaria, so dass
ganz Palästina, in dem Umfange, den es unter Herodes dem Grossen gehabt,
wieder in der Hand eines Herodianers vereinigt war. Derselbe befolgte
die Politik, die einst auch die Alexandras gewesen war, der Partei der
Pharisäer nach Tunlichkeit entgegenzukommen. Er hielt sich streng an die
Satzungen des Judentums, weswegen ihn auch der Talmud über den grünen
Klee lobt. Als einst in der phönizischen Stadt Dora junge Leute eine
Bildsäule des Kaisers in der jüdischen Synagoge aufgestellt hatten,
erwirkte er vom Statthalter von Syrien deren Bestrafung für diesen
entsetzlichen Greuel. Als sich seine Tochter Drusila mit Epiphanes — dem
Sohne des Königs Antiochus von Kommagene — verlobte, musste dieser
versprechen, sich beschneiden zu lassen. So erlebte denn dieser schlaue
Patron den Triumph, dass das Volk ihm, als er im Jahre 41 am
Laubhüttenfest aus der Thora die Worte vorlas: "Du sollst keinen
Fremdling als König über dich setzen, der nicht dein Bruder ist" und er
bei dieser Gelegenheit in Krokodilstränen ausbrach, begeistert zurief:
"Sei unbekümmert, Agrippa, du bist unser Bruder."
Nach Agrippas Tode kam die Herrschaft der römischen
Prokuratoren vom Jahre 44 bis 66 n.Chr. Schon der erste Prokurator
Cuspius Fadus erlebte einen Skandal mit dem Volke, weil er das Verlangen
ausgedrückt hatte, dass das hohepriesterliche Prachtgewand wieder unter
römischen Verschluss gebracht werde; ferner hatte er den Aufstand, den
ein religiöser Schwärmer namens Theudas, der sich als Prophet ausgab und
zum heiligen Krieg gegen Rom aufstachelte, hervorgerufen hatte,
niederzuwerfen. Der dritte Prokurator Cumanus hatte wieder einen
Aufstand zu bekämpfen, weil ein römischer Soldat der Truppenabteilung,
welche der Sicherheit wegen immer im Tempelvorhof aufgestellt war, beim
Passahfeste durch eine unanständige Gebärde die Juden beleidigt hatte.
Dieser Skandal soll nach Josephus' Angabe 20.000 Menschen das Leben
gekostet haben. Zur selbigen Zeit zerriss ein römischer Soldat eine
Thorarolle unter Spott- und Hohnreden. Um weiteren Unruhen zu entgehen,
liess Cumanus auf Drängen der Juden den Soldaten hinrichten. Weitere
blutige Unruhen entstanden infolge der in einem samaritanischen Dorfe
erfolgten Ermordung zweier zum Jerusalemer Feste pilgernder galiläischer
Juden. Der nächste Prokurator war Felix, welcher zum großen Ärgernis der
orthodoxen Juden die schöne jüdische Königin Drusila heiratete. Die
Erbitterung wurde noch gesteigert, als unter dem nächsten Prokurator
Festus die Gleichstellung der Juden und Syrier in Cäsarea aufgehoben und
die Hellenen für die Herren der Stadt erklärt wurden.
Agrippa II., welcher ein kleines Königreich am
Libanon, sowie die Aufsicht über den Tempel in Jerusalem und das Recht,
die Hohepriester zu ernennen, erhalten hatte, pflegte, so oft er sich in
Jerusalem aufhielt, im Palast der Hasmonäer zu wohnen und ließ sich dort
einen kleinen Turm bauen, von wo aus er den Tempel überblicken und in
freien Stunden den Gottesdienst in demselben beobachten konnte. Dies
brachte die frommen Priester, die das höchst unanständig fanden, in Wut
und sie errichteten eine hohe Mauer, die ihm die Aussicht versperrte.
Agrippa wandte sich an seinen Freund, den Prokurator Festus, um Hilfe,
welcher ihm auch beistehen wollte. Die Juden sandten jedoch eine
Deputation nach Rom zur Kaiserin Poppäa und erreichten durch ihre
Vermittlung, dass die Mauer stehengelassen wurde.
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Judenstaates... |