
[Judenhass von heute]
I. Kapitel: Antisemitismus nach dem Weltkrieg
Auszüge aus dem 1935 im Paneuropa-Verlag in Wien und Zürich
erschienenen Buch von
R.N. Coudenhove-Kalergi. Wenn hier vom
Weltkrieg die Rede ist, ist also der I. Weltkrieg gemeint.
2. Teil:
Westwanderung der Ostjuden
Die Massenwanderung russischer und polnischer Juden nach Amerika
und Mitteleuropa hat im zwanzigsten Jahrhundert den Antisemitismus in
den Vereinigten Staaten entzündet und in Mitteleuropa verstärkt.
Die Massenwanderung nach Amerika war eine Folge der russischen
Revolution und Gegenrevolution in den Jahren 1904/05.
Diese starke ostjüdische Wanderung in die Vereinigten Staaten,
insbesondere nach New York, weckte den amerikanischen Antisemitismus,
den es vorher kaum gegeben hatte. Denn die neuen jüdischen Einwanderer
kamen aus einem sehr fremden Milieu, aus einer sehr fremden
Zivilisation, mit sehr fremden Sitten und Lebensformen. Ihre
Assimilation, ihr Aufgehen im amerikanischen Schmelztiegel war ungleich
schwieriger und langwieriger als die Assimilation der jüdischen
Einwanderer aus West- und Mitteleuropa. Das Festhalten an der
väterlichen Religion verhinderte die Vermischung mit dem christlichen,
mit dem angelsächsischen Amerika. Diese Gegensätze, die von beiden
Seiten immer stärker empfunden wurden, führten zu einer
gesellschaftlichen Scheidung dieses jüdischen Einwandererblocks vom
übrigen Amerikanertum.
So entstand eine neue antisemitische Einstellung des
angelsächsisch-protestantischen Amerikanertums, dessen Ziel die restlose
Assimilierung aller Einwanderer und der Kampf gegen alle Elemente war,
die sich dieser restlosen Assimilierung widersetzten. Dieser Kampf
richtete sich auch gegen die Deutschamerikaner während des Weltkrieges,
gegen die katholischen Italiener und von da aus gegen die Katholiken
überhaupt, die gleichfalls als Fremdkörper empfunden und bekämpft
wurden. Der Rassenkampf, der gegen die rote, schwarze und gelbe Rasse
geführt wurde und geführt wird, fand seine nationale Fortsetzung: der
Kampf um den nordischen protestantischen und angelsächsischen
Grundcharakter der Vereinigten Staaten.
Dieser Kampf siegte in den Einwanderungsgesetzen, die eine weitere
Zuwanderung unerwünschter Einwanderer aus Ost- und Südeuropa drosseln
und dadurch die Assimilierung der bereits Eingewanderten erleichtern
soll. Voraussichtlich wird diese Maßnahme zu einem allmählichen Abflauen
des amerikanischen Antisemitismus und zur völligen Amerikanisierung der
eingewanderten Ost Juden führen. Diese Assimilation wird dadurch
erleichtert, dass die amerikanischen Westjuden sich sehr rasch
assimiliert haben und hervorragende Stellungen in den Vereinigten
Staaten bekleiden.
Mit dem Weltkrieg, der Polen in einen
Hauptkriegsschauplatz verwandelt hat, setzte die zweite große Welle
ostjüdischer Auswanderung ein. Diese Welle richtete sich infolge der
Blockade der Mittelmächte hauptsächlich nach Mitteleuropa, nach
Deutschland und Österreich. Hunderttausende polnischer Juden wanderten
nach Wien und Berlin: Kinder einer fremden Kultur, mit einem fremden
Jargon, fremden Sitten und fremden Auffassungen. Sie kamen meist als
Flüchtlinge, verarmt und gezwungen, auf jede Weise ihr Leben zu fristen.
Wo die legitimen Wege zu ihrer Ernährung und der Erhaltung ihrer Familie
versperrt waren, mussten sie sich illegitime Wege suchen. Einigen dieser
Ostjuden gelang es, rasch reich zu werden. Dieser Umstand führte in
einer Zeit allgemeiner Verarmung und allgemeiner Verelendung
begreiflicherweise zu einer Steigerung des Antisemitismus. Denn während
die wenigen Ost Juden, die wohlhabend und reich geworden waren, ihren
Reichtum mit der Naivität von Parvenüs und primitiven Menschen oft
geschmacklos zur Schau trugen, verschwand die Million jüdischer
Flüchtlinge aus Polen und Russland, die durch den Krieg alles verloren
hatte und bettelarm geworden war, aus dem Gesichtskreis der öffentlichen
Meinung. Ein großer Teil derselben wanderte nach dem Kriege zurück.
Diese ostjüdische Einwanderung nach Mitteleuropa schuf
eine neue Assimilationskrise. Während den Westjuden im Laufe eines
Jahrhunderts eine weitgehende Assimilierung gelungen war, schuf die
ostjüdische Welle von neuem eine tiefe Kluft zwischen diesem fremden
Element und den Mitteleuropäern. Die Westjuden standen kulturell und
geistig den Nicht-Juden, die sie umgeben, ungleich näher als den
Ostjuden, die auch ihnen wesensfremd waren. Aber der Antisemitismus nahm
auf diesen Gegensatz keine Rücksicht: er sah im Judentum eine große
Einheit, eine große Gemeinschaft und übersah teils aus Unkenntnis, teils
aus Absicht den kulturellen Gegensatz zwischen West- und Ostjuden. So
drängte er das gesamte Judentum Mitteleuropas in eine gemeinsame
Defensivstellung.
Die Antwort auf diesen verstärkten Antisemitismus war
die Erstarkung des jüdischen Nationalgefühls, des Zionismus: die Idee
einer jüdischen Kulturgemeinschaft, einer jüdischen
Schicksalsgemeinschaft, einer jüdischen Nation griff unter Ost- und
Westjuden immer weiter um sich.
Aus Protest gegen den Antisemitismus suchten die
Westjuden die Gegensätze zwischen sich und den Ostjuden möglichst zu
überbrücken und erweiterten damit die Kluft zwischen sich und ihren
nichtjüdischen Mitbürgern.
Der Antisemitismus wurde von beiden Seiten als
nationaler Kampf geführt: nur stand die kleine Minorität der Juden der
überwältigenden Mehrheit der Nicht-Juden gegenüber.
Der Zusammenhang zwischen der ostjüdischen Wanderung
und der Erstarkung des Antisemitismus wird klar, wenn wir das geistige
Kampffeld des heutigen Antisemitismus in Europa geographisch umreißen:
Deutschland, Österreich, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und
die baltischen Staaten. Es sind die europäischen Siedlungs- und
Wanderungsgebiete der Ostjuden. In Westeuropa, Südeuropa und Nordeuropa
spielt der Antisemitismus keine wesentliche Rolle mehr.
Teil 3.:
Bolschewismus und Antisemitismus
Der Sieg des Bolschewismus in Russland und
sein Versuch, Europa zu erobern, hat dem Antisemitismus neue Argumente
von größter Schlagkraft gegeben. Denn sowohl unter den Führern des
russischen Bolschewismus als auch unter den Vorkämpfern des Kommunismus
in Europa war die Zahl der Juden verhältnismäßig groß. Dies gilt vor
allem auch von den Führern der Räteregierungen in Ungarn und Bayern... |