
[Judenhass von heute]
I. Kapitel: Antisemitismus nach dem Weltkrieg
Auszüge aus dem 1935 im Paneuropa-Verlag in Wien und Zürich
erschienenen Buch von
R.N. Coudenhove-Kalergi. Wenn hier vom
Weltkrieg die Rede ist, ist also der I. Weltkrieg gemeint.
3. Teil:
Bolschewismus und Antisemitismus
Der Sieg des Bolschewismus in Russland und sein
Versuch, Europa zu erobern, hat dem Antisemitismus neue Argumente von
größter Schlagkraft gegeben.
Denn sowohl unter den Führern des russischen
Bolschewismus als auch unter den Vorkämpfern des Kommunismus in Europa
war die Zahl der Juden verhältnismäßig groß. Dies gilt vor allem auch
von den Führern der Räteregierungen in Ungarn und Bayern.
Die Ursachen dieser Tatsache sind vielfältig. Für
jeden, der die Unterdrückung und Verfolgung der Juden im
vorrevolutionären Russland kennt, bedarf es keinerlei Erklärung, dass
das Gros der russischen Juden erbitterte Feinde des Zarismus war und
dass sich ihre intellektuellen Führer der radikalsten Opposition gegen
dieses antisemitische Regierungssystem anschlößen.
Nichtsdestoweniger waren weder der Schöpfer des
Bolschewismus, Lenin, noch dessen Nachfolger Stalin Juden oder
Judenstämmlinge. Trotzki, der unter allen Juden den hervorragendsten
Anteil an der bolschewistischen Revolution genommen hatte, wurde von
Stalin gestürzt und verbannt. Die meisten Mitarbeiter Stalins und Führer
der Sowjetunion sind Nicht-Juden. Von einer Judenherrschaft in der
Sowjetunion zu sprechen, ist daher eine Verfälschung der Tatsachen.
Dennoch besteht zwischen Sozialismus und Judentum eine
mehr als äußerliche Beziehung.
Anklänge einer gerechteren sozialen Ordnung finden
sich im mosaischen Gesetz und bei den Propheten, die gegen die
Unsittlichkeit und Ungerechtigkeit ihrer herrschenden Klassen in einem
ähnlichen Geiste predigten wie heute die Besten unter ihren
sozialistischen Nachfahren.
Dieser religiöse Geist irdischer Gerechtigkeit, der
die jüdische Religion erfüllt, hat sich bei vielen aufgeklärten Juden in
Sozialismus verwandelt. Für sie sind Sozialismus und Kommunismus nicht
politische, sondern religiöse Bewegungen. Verschollene messianische
Hoffnungen mischen sich in die Träume vom sozialistischen Zukunftsstaat.
Die soziale Ethik der Ahnen wandelt sich in soziale Politik der Enkel.
In diesem religiösen Geist haben viele jüdische Vorkämpfer des
Sozialismus heute den gleichen Heroismus und Opferwillen bewiesen wie
ihre Vorfahren zur Zeit der religiösen Verfolgungen.
Neben diesem edelsten Quell des jüdischen Sozialismus,
der im Religiösen wurzelt, haben aber noch andere Motive die jüdische
Jugend nach links gedrängt. Gerade der Antisemitismus vieler
Rechtsparteien macht es charaktervollen Juden, auch wenn sie konservativ
eingestellt sind, oft unmöglich, sich diesen Gruppen anzuschließen. Dazu
kommt, dass in diesen Parteien der Antisemitismus der 'Wählermassen so
stark ist, dass die Chancen eines jüdischen Kandidaten äußerst gering
wären.
Dies drängt Juden, die von politischem Ehrgeiz erfüllt
sind, automatisch zu jenen Parteien, die nach starken Energien und
Intelligenzen suchen, ohne nach Konfession und Rasse zu fragen. Während
sich nicht nur in liberalen, sondern auch in sozialdemokratischen
Führerkreisen die Furcht verstärkt, einen zu hohen Prozentsatz von Juden
aufzuweisen, teilt der Kommunismus diese Bedenken nicht, so dass schon
darin ein starker Anreiz für ehrgeizige Juden liegt, den Kampf um die
politische Macht ohne Handikap aufzunehmen.
Es bedarf keiner weiteren Erklärung, dass für die
Juden neben allen anderen Programmpunkten einer Partei auch deren
Stellung zum Antisemitismus für die eigene Einstellung bestimmend ist.
Dass also in Staaten, in denen die bürgerlichen Parteien mehr oder
weniger zum Antisemitismus hinneigen, sich viele Juden veranlasst
fühlen, auch dann sozialistisch zu stimmen, wenn sie nicht marxistisch
empfinden.
So zählt die sozialistische Einstellung zahlreicher
Juden nicht nur zu den Ursachen, sondern zugleich zu den Folgen des
Antisemitismus.
Die Geschichte lehrt, dass die politische Einstellung
der Juden in den verschiedenen Staaten das Echo der Behandlung ist, die
ihnen zuteil wird. Während die jüdische Intelligenz im zaristischen
Russland zum überwältigenden Teil revolutionär eingestellt war, blieb
sie in England ebenso konservativ oder liberal wie die nicht-jüdische
Intelligenz.
Der größte Führer und Erneuerer der konservativen
Partei Englands war Jude: Disraeli. Auch heute stehen eine Reihe
hervorragender Juden mit an der Spitze der englischen Konservativen und
Liberalen. Sie lieben ihr Vaterland und arbeiten mit an dessen führenden
Parteien, die den Antisemitismus verwerfen und ihnen volle politische
und soziale Gleichberechtigung sichern.
In Mitteleuropa lag die Stellung der Juden zwischen
dem russischen und dem britischen Extrem. Die Juden waren zwar politisch
und wirtschaftlich, nicht aber gesellschaftlich den Nicht-Juden
gleichgestellt. Es gab zwar keine Pogrome, aber die Juden wurden als
Mitbürger zweiten Ranges betrachtet, verachtet und verhöhnt. Kein
Wunder, dass dieser Zustand den Hass zahlreicher jüdischer
Intellektueller in Deutschland, Österreich und Ungarn schürte und sie in
das oppositionelle oder in das revolutionäre Lager trieb. Dennoch
blieben die überwältigende Mehrheit der mitteleuropäischen Juden gute
Patrioten; sie machten weder Staat noch Gesellschaft verantwortlich für
die unwürdige Lage, in der sie sich befanden.
Zweifellos wären die mitteleuropäischen Juden ebenso
konservativ oder liberal wie das Gros der englischen, wenn ihre soziale
Stellung die gleiche wäre wie in England: so dass sich in Mitteleuropa
der Antisemitismus nicht als Schutzwall, sondern als Nährboden der
sozialen Revolution auswirkt.
Der jüdische Sozialismus wurzelt sowohl im sozialen
Ressentiment wie im biblischen Willen zur Gerechtigkeit.
Die Forderung nach Gleichberechtigung musste in allen
Staaten, in denen sie den Juden theoretisch oder praktisch vorenthalten
wurde, die stärkste Anziehungskraft auf sie ausüben. Dies gilt sowohl
vom Liberalismus als auch vom Sozialismus und Kommunismus. Der
italienische Faschismus, der den Antisemitismus ablehnt, weckt die
Begeisterung vieler Juden innerhalb und außerhalb Italiens.
Dass die gesellschaftlich unterdrückten Juden zu
natürlichen Verbündeten der wirtschaftlich unterdrückten Proletarier in
ihrem Kampf gegen die bestehende Gesellschaftsordnung wurden, war nichts
weiter als eine natürliche Entwicklung, als eine Folge des
Antisemitismus.
Der Marxismus in seiner abstrakten, materialistischen
und mechanistischen Einstellung zur Gesellschaft ist ein typisches Kind
großstädtischen Denkens. Für den Städter hat Eigentum einen relativeren
Wert als für den Bauern. Der Städter ist weniger durch Traditionen an
die Vergangenheit und an die Entwicklung geknüpft, weniger von der Natur
und ihren Launen abhängig, weniger gläubig und weniger abergläubisch.
Darum ist die Großstadt der natürliche Nährboden für den Marxismus.
Das europäische Judentum aber ist, durch das einstige
Verbot des Landbesitzes, zum Stadtvolk par excellence geworden, mit
einer städtischen Einstellung zum Leben, zur Politik, zur Wirtschaft,
zur Gesellschaft. So kommt es, dass sehr vielen jüdischen
Intellektuellen ein rationeller und mechanischer Gesellschaftsaufbau,
der möglichst rasch die historische Gliederung der heutigen
Gesellschaftsstruktur überwindet, als Inbegriff der politischen Vernunft
und des menschlichen Fortschritts erscheint.
Diese inneren und äußeren Beziehungen zwischen
Judentum und Marxismus haben die meisten radikalen Antimarxisten ins
antisemitische Lager gedrängt.
Der Antisemitismus wurde zu einer wirksamen Waffe
gegen den Marxismus, der Antimarxismus zu einer wirksamen Waffe gegen
das Judentum. Denn nichts konnte große Teile der Arbeiterschaft dem
Marxismus leichter entfremden, als dessen angebliche Identität mit dem
Judentum. Anderseits konnte nichts den Antisemitismus in bürgerlichen
Kreisen besser schüren, als die angebliche Identität des Judentums mit
dem Marxismus.
Das antisemitische Vorurteil und dessen
unterbewusste Erscheinungsform, der antisemitische Instinkt, waren in
den bürgerlichen und proletarischen Massen noch zu lebendig, um nicht
durch ein wirksames Schlagwort geweckt werden zu können.
Diese Parole erschien um so glaubwürdiger, als M
a r x Jude war. Aber schon sein engster Mitarbeiter, Engels, der
Mitbegründer des Marxismus, war Nicht-Jude. Seither finden sich neben
jüdischen Führern des Marxismus wie Lassalle, Adler, Trotzki und
Luxemburg eine Reihe mindestens ebenso bedeutender und einflussreicher
Nicht-Juden wie Liebknecht, Bebel, Jaures, Ebert, Henderson, Lenin und
Stalin.
Ein historisches Studium der marxistischen Bewegung
ergibt, dass Juden zwar einen hervorragenden Anteil an ihr genommen
haben, dass aber jede Identifizierung von Judentum und Marxismus eine
doppelte Geschichtsfälschung ist.
Dennoch war diese Parole eines der wirksamsten
Schlagworte gegen den Sozialismus und Kommunismus, ein Schlagwort, das
Millionen europäischer Arbeiter aus dem sozialistischen ins
nationalistische Lager gedrängt hat. Gleichzeitig hat es den Kampf auf
Leben und Tod, der nach dem Weltkrieg zwischen Bürgertum und Kommunismus
ausbrach, dazu verwendet, um die bürgerliche Todfeindschaft gegen den
Kommunismus teilweise in Antisemitismus umzusetzen.
Die Judenverfolgungen in Ungarn und in der Ukraine
waren unmittelbare Begleiterscheinungen antikommunistischer
Gegenrevolution: die Gegner des Kommunismus rächten sich an den
größtenteils nichtkommunistischen Juden für die Untaten des
kommunistischen Regimes. Auch der deutsche Judenhass des Dritten Reiches
ist mit dessen antimarxistischer Parole eng verbunden.
So bildet der Bolschewismus heute eines der stärksten
Argumente des Antisemitismus. Millionen identifizieren ihn mit Judentum,
obgleich er die orthodoxen Juden ebenso verfolgt wie die orthodoxen
Christen. Aber für politische Demagogen und für denkfaule Menschen ist
die Identifizierung des Judentums nicht nur mit Bolschewismus und
Sozialismus, sondern auch mit Liberalismus, Parlamentarismus,
Kapitalismus, Materialismus, Aufklärung, Rationalismus, Freimaurertum,
Demokratie und Zersetzung zu bequem, um nicht Anwendung zu finden.
So wird der Antisemitismus zu einem politischen
Allheilmittel: er findet stets ein Echo, weil er einem tief wurzelnden
Vorurteil der Massen entgegenkommt.
Teil 4.: Die
Verarmung Mitteleuropas
Die Verarmung Mitteleuropas durch Krieg und Inflation gab
dem Antisemitismus neue und starke Impulse. Denn in diesen übervölkerten
Gebieten ist der Neid eine Großmacht; eine der stärksten Quellen
politischen und privaten Hasses. Dieser Neid wächst mit der allgemeinen
Verarmung und der Bereicherung weniger... |